Santa Irene - Santiago

Na,  ich bin ja mal wieder ein Held.  Die nette Dame in der Herberge hat gestern jedem - auch mir - ganz  ausführlich und so,  dass es jeder verstehen musste - auch ich - erklärt,  dass sie die Türe zum Aufenthaltsraum erst um 7.00 Uhr öffnet und wir,  wenn wir früher gehen möchten,  bitte durch den Garten tippeln sollen.  Und ich hab es ja auch verstanden.  Bei der sorgfältigen Erklärung hab selbst ich es nicht geschaffte,  es nicht zu verstehen.  Und ich dachte: Okay,  dann geh ich halt durch den Garten.  Weil ich wollte ja früh los, um um 12.00 Uhr zur Pilgermesse da zu sein.  Kein Problem!

Und ich bin vor lauter Aufregung schon ganz lange vor 6.00 Uhr wach und heilfroh,  als endlich auch andere aufstehen und ich mich akustisch hinter ihrem Geraschel verstecken kann.  Ich bin ja auch ganz brav,  habr alles schon so gerichtet,  dass ich nur noch meinen Schlafsack, den Waschbeutel und die Sandalen einpacken muss.  Meine Sandalen kommen immer ganz zuletzt,  weil die ziehe ich ja erst aus, wenn ich meine Wanderschuhe anziehe.  Und dann ist alles fertig und ich will meine Wanderschuhe anziehen ... und die stehen noch im Gemeinschaftsraum und trocknen vor sich hin. Und der ist zu -  also auch für die,  die schon verstanden haben,  dass sie so nicht aus der Herberge kommen, aber dabei völlig vergessen,  dass man die Tür auch dafür braucht,  wenn man dahinter noch etwas stehen hat. Ich könnte mich ganz mit ohne Zähne in den Hintern beissen! Aber macht das mal! Das ist gar nicht so einfach,  weil sich die Zähne oben in der anderen Richtung befinden als der Hintern ein gutes Stück weiter unten. Blödblödblöd! - also jetzt nicht das mit den Zähnen und dem Po,  sondern das mit den Schuhen und der Tür und dem,  dass ich es manchmal einfach nicht schaffe, die einfachsten und offensichtlichsten Gegebenheiten in eine Reihe zu kriegen (z. B. dass Herr K. Frau K. jetzt nicht unbedingt anmachen will, nur weil er ihr eine Tasse Kaffee spendiert, und dass er das ja auch gar nicht braucht, weil sie nicht rein zufällig den gleichen Namen tragen - das ist mir heute noch peinlich!). 

 

Was mich allerdings ein bisschen beruhigt,  ist, dass ich nicht die Einzige bin. Während ich im Garten stehe und eine Nunberuhigdichmalwiederzigarette rauche,  sehe ich noch so manchen anderen verzweifelt auf die Tür einreden,  dass man ja die Herberge gar nicht durch sie verlassen möchte,  sondern nur an seine Schuhe ran will,  weil man ohne die die Herberge ja nun noch nicht einmal durch den Garten,  durch den zu gehen man ja durchaus gewillt ist,  verlassen kann.  Vergebens.  Diese Türe ist und bleibt holzköfpig. 

 

Pünktlich um 7.00 Uhr wird uns  tatsächlich aufgetan,  wir blasen zum  Sturm auf - nein,  nicht das kalte Buffet,  sondern - die trockenen Wanderstiefel und rennenn los,  noch immer ein bisschen in der Hoffnung, die Messe noch zu erreichen, wenn wir nur schnell genug... 

 

Mal ehrlich: Wenn man das Ziel so dicht vor der Nase hat ...Ich möchte jetzt ankommen, ankommen und zwei Tage ein bisschen herumtappseln ohne Rucksack auf dem Rücken, ein bisschen hier einen Kaffee schlürfen, da ein bisschen bummeln (noch nicht einkaufen, weil das müsste ich ja sonst tragen), ein bisschen Pilgerwatching, ein bisschen ... Ich renne alles um, was mir nicht schnell genug aus dem Weg hupst, Tagesbeutelchenträger und Seeleausdemhalskreischer - mir ist gerade mal alles egal. Ich will nicht mehr! So gar nicht mehr! Ich habe nur noch rutscht mir doch  den Rucksack runter!

Mir ist nur einmal kurz nach einer Pause mit koffeinhaltigem Heißgetränk und einer Tür zum hinter mir Zumachen. Bei den Massen ist man - äh frau - auf Türen angewiesen. Da ist nix mit Busch oder so; der Betrieb hier ist schlimmer als in Frankfurt auf der Zeil zum Sommerschlussverkauf! Wenn die, die da nebeneinander laufen, auch noch hintereinander laufen würden, könnten sie eine Polonaise von hier bis zum Kathedralenplatz machen und im Gleichschritt Marsch "Die Karawane zieht weiter" schmettern!

 

Hinter Pedrouzo Arca setzt der Camino für mich immer zu einem finalen Trommelwirbel an: dieser Hohlweg,  der fast bis zum zweiten Stock geht (naja,  zumindest bis zum ersten), noch einmal dieser schrubbelige Eukalyptuswald mit efeuumzüngelnden anderen Bäumen dazwischen - ich liebe dieses Stück einfach! 

Aber wisst ihr,  was mich immer wieder neu zur Verzweiflung bringt?  Dieser schier endlose Weg von dem Ort vor Sant Marcos nach Sant Marcos.  Also,  wenn ich mal viel Geld habe,  dann mache ich da lauter Sachen,  die ich mir erst noch einfallen lassen muss,  damit das nicht so lang und grausig mehr ist.  Entweder ich kaufe diesen eingesperrten Wald,  um den man herumlaufen muss,  reiße den Zaun nieder und stelle gelbe Pfeile auf und eine Würstchenbude hinein, oder ich mache irgend etwas neckiges mit diesem blöden Radiosender oder...  Ich weiss nicht was.  Aber dieser Weg, tut mir leid,,  aber der nervt einfach nur!

Ich schaffe das schier Unglaubliche: Ich finde auf dem Monte do Gozo die beiden PIlger!  Voll der Hammer! Ich bin das absolute Wahnsinnsweib! Dass ich die tatsächlich gefunden hab! ... Naja gut, also die Wegbeschreibungen waren am Ende ja schon schier verzweifelt und so detailliert und aus jedem Buchstaben kam das Flehen: Find sie doch endlich! - Hier muss es einfach sein: Einen dicken Knuddler an alle,  die sich wirklich alle Mühe gegeben haben,  auch mich superblindes Huhn hier endlich hinzuführen: Ihr seid einfach Helden,  weil ihr habt es echt geschafft! Und nicht nur das: Ihr habt mir so geholfen, wart so für mich da, hattet so viele Tipps und zwei von euch (ich guck jetzt niemanden so genau an, Por und Klümpchen, damit keiner merkt, dass ich euch meine) haben mein Handy (und noch viele mehr) so oft piepsen lassen - es war zwar oft niemand um mich herum auf dem Weg, aber ich war nie alleine. Und dass ich das nicht war, das ist ... das kann ich euch nicht sagen!

 

Und dann kommt er endlich,  der Einmarsch,  das Ankommen am Nordportal der Kathedrale, der erste kurze Besuch in der Kathedrale.  Ich wage es und gehe mit dem Rucksack hinein.  Nur bis kurzhinter der Türe,  denke ich,  weil der Rucksack einfach zu mir gehört und eben auch mal kurz einen Schritt mit mir in die Kirche kommen soll. Und dann denke ich nicht mehr so viel und schon mal gar nicht daran,  dass ich das ja eigentlich gar nicht mehr darf und ich werde auch nicht angesprochen,  weil ich glaube,  in diesem Moment traut sich auch niemand mich anzusprechen.  Da ist das Wissen,  dass dieser,  mein eigentlicher Weg,  den ich selbst noch nicht begreife,  dass ich den tatsàchlich gegangen bin,  dass ich tatsächlich auf dem San Salvator war,  alleine, mit Regen und Schnee und Verlaufen und Geräusche von Tieren,  wo ich gar nicht drüber nachdenken will,  was das für welche waren (wahrscheinlich waren es nur Mäuse,  die sich ziemlich laut angeblafft haben) (vielleicht war das ja eine Sichdieseeleausdemleibschreimaus!) - dass ich das alles gemacht und geschafft habe - das brasselt mir ganz plötzlich alles in den Kopf und flutscht mir (es ist ja nix da drin,  woran es sich festhalten könnte) - schwubberdischwubber - ungebremst aus den Augen.  Da traut sich niemand,  mir mit irgendetwas wegen Rucksack zu kommen! ... Wahrscheinlich war auch niemand da,  der sich daran gestört hat. 

Einmal geschneuzt (ich habe mich in den letzten Tagen so deran gewöhnt,  mir die Nase in Klopapier zu putzen,  weil meine Taschentücher ruckzuck aufgebraucht waren (wenn es nass und womöglich auch noch und wenn auch nur frisch ist,  muss ich mir dauernd die Nase putzen), dass meine Nase bestimmt ihre Flügel über dem Rücken zusammenschlägt,  wenn sie sich wieder in Taschentücher schneutzen muss), weiter geht es:

 

Erst einmal zum Kathedralenplatz,  dann zum Pferdebrunnen und ein kurzer Blick darauf,  dass die Schlange am Pilgerbüro bis fast hierher geht,  ein Schulterzucken - dann eben später - und  zum Seminario Major,  in dem ich - Dank Margarita - für - Dank der lieben jungen Frau in Santa Irene jetzt auch richtigen - zwei Nächte eingebucht bin und ab aufs Zimmer - oder vielmehr in meine Klosterzelle.  So wollte ich schon immer mal schlafen!: ein Bett,  ein Tischlein,  ein Stuhl, ein klitzekleines Badezimmer,  aber alles für mich ganz alleine.

Ich ziehe mich aus ... ganz aus und erschrecke,  weil ich mein Handtuch noch gar nicht ausgepackt habe,  um mich drin einzuwickeln.  Dann fällt mir ein,  dass ich ja alleine bin.  Ich guck noch mal,  ob das auch wirklich stimmt? - Stimmt! Also laufe ich dreimal nackig durchs Zimmer,  was etwa 10 Sekunden dauert, weil das Zimmer nicht viel grösser ist,  als mein Bett lang ist.  Und weil meine Füsse nicht mehr herumlaufen wollen,  nackig hin und alleine sein her. Sie haben keinen Bock mehr auf Bewegung.  Und ich gönne ihnen nur zu gern diese Ruhe und lasse mich schnurstracks auf mein Bett fallen. Weil das ja auch geht. Im Stockbett unten kann man nicht hineinfallen,  weil meistens ganz schnell oben kommt, und ins Stockbett oben kann man sich ja auch nicht fallen lassen,  weil man erst klettern muss und dann erst einmal wie ein nasser Sack bäuchlinks noch mit den Füssen in der Luft daliegt wie ein gestrandeter Wal. Hier geht das und weil es geht,  tu ich es: Ich lasse mich fallen.  So.

 

El hab ich auch getroffen!
El hab ich auch getroffen!

Dann muss ich aber doch irgendwann wieder los,  weil mein Bauch meine Füsse davon überzeugt,  dass sie zwar auch wichtig sind,  aber auf keinen Fall wichtiger als er. Und es ist so schön: Nach und nach treffe ich alle wieder: die Erste am Fahrstuhl,  seil sie gerade angekommen ist (Huch!  Sie geht viel schneller als ich und ist jetzt erst da? Heideröslein,  dann kann ich ja garnicht sooo langsam gewesen sein!), die nächsten auf einer Mauer direkt vor dem Monasterio,  die nächsten auf dem Kathedralenplatz,  welche in den Gassen, zwei kommen gerade an und eine - Achtng, das ist der Knaller! - ist gestern schon angekommen und heute Morgen nach Finisterre weitergelaufen, hat sich nach über 20 km in den Bus zurück gesetzt,  weil sie das Gefühl hatte, dass sie gar nicht sein wollte,  wo sie war, sondern lieber da, wo alle sind.  Ist das ein Klopfer? 

 

Ich wubsele so ein bisschen in der Gegend herum und finde Thea, die in der Schlange ansteht und schon ziemlich weit vorne ist und dann bin ich ein bisschen unverschämt. Ichgeb es ja auch zu und ich habe schon auch ein schlechtes Gewissen ... aber nicht schlecht genug,  dassich es nicht mache. Und Hallo!, die steht da jetzt schon so lange alleine und ohne Unterhaltung und dann ist es ja auch total doof,  wenn man seine Compostela bekommt und ganz alleine ist - zumal wenn man über 3.000 km unter den Sohlen hat. Neinneinnein,  das kann ich ihrnicht antun.  Und dass ich so ganz nebenbei relativ schnell meine Compostela bekomme... kleine gute Taten belohnt der liebe Gott halt sofort.

Und so komme ich auch noch zum Abendgottesdienst und anschliessend zum spirituellen Rundgang um die Kathedrale.  Und die kann ich wirklich nur empfehlen! Das hört sich ziemlich abgehoben und religiös an,  aber eigentlich ist das genau so,  wie ich es gerne mag: Schon auch mit Zeigefinger - der aber darauf hinweist,  dass die Menschen  früher Gott und Adam und Eva fast gleich gross dargestellt haben, dass er also nicht auf sie herabsieht. Und er guckt Eva, die Adam ja ach so verrucht verführt hat und überhaupt grundsätzlich an allem schuld ist!, ganz lieb an. Na klar! Nur wegen ihr ist die Menschheit nicht nach nur 40 Jahren ausgestorben! Und la Fe,  DIE Glauben (ha!) braucht nicht zu gucken,  weil man mit dem Bauch manchmal viel besser sieht! Und oben an der Glocke lebte bis vor ca.  60 Jahren ein Glöckner mit Gemüsegarten und zwei Ziegen, weil ja jemand dafür sorgen musste, dass die bimmeln ... Das hat mir richtig gut gefallen!

Zwei er Teilnehmer sind so nett, dass wir uns einfach nicht gleich wieder voneinander verabschieden wollen, sondern noch etwas trinken gehen.

 

Zum Abschluss dieses Tages, zum Abschluss MEINES Caminos (ich gehe zwar noch ein Stück, aber hier ist mein so richtiger Camino zu Ende ... und ich könnte heulen ... und tu es auch ... öfter und reichlich!) will ich nur noch einmal kurz über den Kathedralenplatz schlendern. Da liegt ein Mensch mitten auf dem Platz und regt sich nicht! Ich denke, lebt es noch?, da kommen noch zwei Menschen, legen sich dazu und sprechen fränkisch miteinander. Das sieht so lustig aus! Ich frage, ob ich sie fotografieren darf? - Nein! Ich soll mich gefälligst mal hierher legen und mir die Türme von unten begucken und sie fotografieren MICH. - Na gut. Und so liege ich also weit nach Mitternacht in Santiago auf dem Kathedralenplatz dekorativ in der Gegend herum und gucke dem Heiligen Jakobchen quasi unter den Rock. Kinders!, das ist ... der Grund, warum ich immer wieder zu Fuß in Spanien unterwegs sein werde und mich jetzt schon auf nächstes Jahr freue. Das ist ... der Spirit des Camino. Das ist ... das, was es nur hier gibt und was so schön ist!

 

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