Pedrouzo - Santiago zum Zweiten

 

Was macht man, wenn man gar keine Lust für auch nur noch einen Schritt hat? Es bleiben lassen ... brächte mich jetzt gerade mal gar nicht weiter. Also renne ich drauflos und alles um, was sich mir in den Weg stellt. Und ich versichere euch, das ist so einiges. Besonders einer, der die ganze Zeit lauthals schreit oder singt. So einen hab ich noch nie erlebt: Der kann gar nicht leise. Gut, ich bin nun auch nicht unbedingt von schlechten Eltern, wenn ich den Mund aufmache, aber der toppt alles! Erst höre ich ihn, dann sehe ich zwei Franzosen ergebene Blicke miteinander wechseln und es sich seitlich bequem machen und verstehe noch gar nicht, warum sie das tun. Aber das ändert sich bald, denn es dauert gar nicht lange, dann sitze ich auch irgendwo im Gras und warte darauf, dass er außer Hörweite ist. Ach und guckt, da kommen auch die beiden Franzosen!

 

Und noch ein besonderes Pilgerexemplar begleitet mich auf diesen letzten Kilometern: Ein Herr mi Stöcken und Zigarette im Mund. Nein, nicht mal kurz halt eben eine Zigarette, sondern ununterbrochen: anhalten, die Alte raus, eine Neue rein und Weitermarsch. Ich bin von ihm so fasziniert, dass ich erst auf dem Weg nach San Marcos, da wo es so zäh ist, merke, dass ich ja gerade da gehe, wo es zäh ist, und angemessen unwillig vor mich hintrappele.

Wenn sich in mir alles gegen etwas wehrt, wo ich außenherum nicht drumrum komme, habe ich ja immernoch meinen Kopf und der denkt sich in solchen Situationen Sachen aus, da werde ich mir manchmal selbst unheimlich. Weil ich jetzt damit aber nicht alleine bleiben will, müsst ihr mit mir da durch:

 

Ich habe nämlich überlegt, dass so ein Camino so ein bisschen wie eine Verabredung zum Abendessen ist: Man ruft sich an, vereinbart einen Termin, bestellt einen Tisch in einem schicken Restaurant. Dann kommen die großen Fragen: Was ziehe ich an? Welche Handtasche nehme ich? Am verabredeten Tag setzt man sich ins Auto, wohlduftend und schniekelt und gebügelt und macht sich auf den Weg. An der Tür wird man empfangen und an seinen Tisch begleitet: Hier sollst du nun den Abend verbringen. Ach und guck, du bist gar nicht allein, da sind ganz viele Menschen um dich herum. Du schaust genau hin, wie die so aussehen, was sie tragen, was sie essen, wie sie sich verhalten. Also die da drüben, also die ist ja wohl völlig komisch, wie die gestikuliert. Was versucht sie denn anzudeuten? Kirchtürme? Phallusse? Beides? Und da die Mutter mit ihrer Tochter, ja, das sieht kuschelig aus. Und der Herr dort, was macht der? Schriebt der Zahlen auf die Wand? Und da sitzen zwei und malen Familienstammbäume auf die Tischdecke! Und die beiden da drüben, die gucken dauernd zu mir her und ich höre direkt, wie die denken: Was ist das denn für eine?! Und der mit den Piercings - aber nett sieht er aus! Und der daneben - ach, ein bisschen jünger müsste man sein! Und doch sitzen die beiden jungen so einträchtig zusammen mit zwei älteren Herren und das sieht so harmonisch miteinander aus.

Über das Gucken und Abschätzen merkt man gar nicht, dass die Person, mit der man eigentlich verabredet war, gar nicht kommt. Aber das ist auch gar nicht schlimm, weil man nickt sich hier freundlich zu und kommt da ins Gespräch und lacht dort miteinander. Und man genießt die Mahlzeit: Ein bisschen Salat, ein bisschen Fisch (oh, der hatte ein bisschen zu viel Zitrone), ein bisschen Fleisch (noch ein bisschen Pfeffer drauf) und Gemüse (oh, ist das lecker!), jeden Gang für sich. Manchmal fühlt man sich ganz voll, aber hier wird alles aufgegessen, weil bevor der Teller nicht leer ist, gibt es keinen neuen Gang. Dann kommt der Nachtisch mit einem Sahnehäubchen (die letzten schönen Hohlwege), Cocktailkirsche (Ankommen in Santiago) und einem Schirmchen (Compostela) obendrauf.

So sitzt man dann da, rundherum wohlgenährt und satt, bestllt sich noch eine letzte infusion (spanisch für Kräutertee), wischt sich den Mund diskret in eine Serviette ... und geht, noch ganz voll mit den leckeren Sachen, mit den verschiedenen Geschmäckern und doch sind sie schon wieder viel zu viel weg, von den Köstlichkeiten hinterher überlagert - aber lecker war es!

Daheim putzt man sich die Zähne geht ins Bett, dreht sich wohlig auf die Seite (weil auf dem Bauch oder dem Rücken kann man mit so einem vollen Bauch nicht schlafen), grunzt noch einen tiefen Stöhner, schließt die Augen und schläft wohlig ein.

 

 

Auf dem Monte do Gozo wollte ich eigentlich meinen Rucksack abstellen und ohne nach Santiago hinunterstupfen. Aber die Herberge macht erst um 13.00 Uhr auf und da hätte ich zwei Stunden warten müssen. Wir haben uns ja auch inzwischen so aneinander gewöhnt, mein Froschsack und ich, dass wir fast gar nicht mehr ohne einander können. Ich muss ihm hier mal ein bisschen liebevoll auf seine Obendrauftasche klopfen: Er hat mich so bequem begleitet, hatte immer ein leuchtendes Strahlen für mich, hat gemacht, dass alle schon immer von ganz weit wussten, dass hier ich bin - er ist einfach klasse. Wir sind so ein eingetragenes Team geworden, dass er mir daheim sicher fehlen wird, wenn er nicht mehr auf meinem Buckel scheppert.

Ganz ehrlich? Am Ortseingang von Santiago gucke ich dann doch an einer Bushaltestelle auf den Fahrplan, der mir sagt, dass in einer halben Stunde ein Bus kommt. Eine halbe Stunde ... eine halbe Stunde lang könnte ich hier gemütlich auf der Bank sitzen und Pilger gucken ... die an mir vorübergehen ... die mich hier sitzen sehen ... denen ich in Santiago wieder begegnen werde ... was mir bestimmt ziemlich unangenehm wäre. Ich sehe den Bus ... etwas mehr als eine halbe Stunde später an der Porta de Camino. Nein, am Ende von 4 Wochen Fußmarsch hätte ich Kruddel gekriegt, wäre ich nicht gegangen. Wollen wollte ich nicht, ganz und gar nicht, aber getan habe ich es trotzdem, widerwillig aber stur.

An der Kathedrale bleibe ich trocken, aber im Pilgerbüro, da pflupfelt es mich dann doch wieder und als ich meine Compostela so bekomme, wie ich sie mir gewünscht habe, erst recht. Ich gebe meinen Frosch in der Pilgerinformation ab - ein schwerer Fehler, denn nun bin ich leicht und beschwingt, verdränge alle mir von ihm vorgegebenen Dimensionen meines Gepäckstückes für den Rückflug und kaufe gnadenlos alles, was bei Drei nicht in einer anderen Tasche landet: Magnete, Anstecker, Kacheln und die große Jakobsfigur, ja, die wollte ich schon immer haben. Wie ich die nach Hause bringen soll, darüber verschwende ich in diesem Moment keinen Gedanken. Ich hab sie, nur das zählt. Ich hab sie! mir leider gleich am Anfang meiner Shoppingtour gekauft und muss sie jetzt den ganzen Rest des Tages mit mir herumschlappen. Intelligent ist anders.

Zurück zum Monte do Gozo nehme ich dann den Bus, freue mich, dass mich der gleiche Hospitalero wie letztes Jahr begrüßt, teile mir ein Zimmer mit zwei Damen aus Korea und einer Deutschen und bin den Rest des Tages damit beschäftigt zu überlegen, was ich noch alles wegwerfen kann, weil ich Platz für mein Jakobchen schaffen muss.

 

Tja, und das war dann meine Pilgerreise für dieses Jahr. Vier Wochen! Erst eine Woche ganz alleine auf dem Camino de San Salvador. Ich habe die Einsamkeit dort nicht ertragen, ich habe sie genossen. Dann zwei Wochen mit meiner Pilgerfamilie auf dem Primitivo - ich muss mal lachen, weil die waren mir anfangs alle so suspekt, so komisch, fast unangenehm - vielleicht auch, weil ich in der Einsamkeit bleiben wollte. Und das durfte ich auch, ich durfte meine Zeit für mich genießen und wenn ich es brauchte, war jemand da, der mich in den Arm nahm, mich auffing. Das ist so kostbar! Und dann noch einmal diese vier Tage alleine, um die Sache rund zu machen.

 

Am Abend wird es ganz rund: Ich zeige meiner Einenachtmitbewohnerin und einer anderen Deutschen die beiden Pilger, wir fotografieren uns gegenseitig, dann gehen die beiden hinunter in die Bar und ich bleibe ganz alleine an ihren Füßen sitzen und schaue zu, wie die Sonne dort untergeht, wo sie hindeuten, ein bisschen rechts von Santiago.

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