28.06.2018: Penaseita - La Mesa

 

Kinders, wenn ein Tag so beginnt, kann er nur gut werden!

 

Zum Glück hat K. kleine Kaffeetütchen dabei, so haben wir zwar kein richtiges Frühstück, aber ich werde mit einem Becher mit viel Wasser verdünntem Koffein geweckt, den Santi mir mit einem sehr lieben "good morning, Andrea" ans Bett bringt. Ist das lieb! Auch wenn diese Plörre schon wieder ein Grund wäre, erneut zur Weinflasche zu greifen, um sie sich schönzutrinken. Aber das wäre vergebene Liebesmüh', haben wir doch gestern fein säuberlich darauf geachtet, dass auch nicht ein Tropfen von ihm verkommt.

 

Draußen liegen noch dichte Dunstschwaden über der Welt, aber die nehmen dem Weg nix an seiner Schönheit. Kinders, es ist unglaublich! Es ging zwar immer, aber meistens nicht stramm, bergauf, ganz lange an einem Bach entlang und total lauschig durch den Wald. Erst als wir die Straße kreuzen, überschreiten wir damit auch die Baumgrenze und ich bin schon ein bisschen dankbar für das Subbelwetter, denn bei Sonne wäre der Aufstieg, der jetzt kommt, nur noch anstrengender.

 

 

Man sollte ja meinen, dass die Alternative zu Berg Nichtberg ist, ist es aber hier nicht. Tatsächlich steigen wir nicht viel weniger hoch hinauf, nur eben etwas schneller als über die Hospitales-Route. In Serpentinen geht es durch Erika und Gestein, total schön und total schön anstrengend. Santi und K. habe ich schon am Bächlein verloren. Sie sind einfach schneller als ich, K., weil sie viel längere Beine hat, und Santi, weil ... ich eben bergauf eine Schnecke bin, die statt ihrem Haus einen Rucksack auf dem Buckel trägt. Aber das ist gar nicht schlimm.

 

K. war gestern übrigens so ein bisschen traurig und angefressen, weil sie sich mit Mitpilgern für in der Herberge von Borres verabredet hatte. Die haben sich aber nicht daran gehalten und sind ihr jetzt durch die Lappen gegangen. Ich kann das schon verstehen, ich bin ja auch traurig, weil alle anderen irgendwie weg sind, aber ich finde, das ist ja auch genau das Schöne an einem Camino: Jeder ist nur für sich selbst verantwortlich und geht so, wie es ihm gut geht. Man muss nicht planen, man muss sich nicht richten, man bleibt ganz und gar bei sich. Man lernt Menschen kennen, gewinnt sie lieb, verliert sie vielleicht wieder ... und trifft andere Menschen, die man auch wieder liebgewinnen kann. Und auch, wenn die einen weg sind: Die Zeit, die man miteinander verbracht hat, die nimmt einem keiner mehr, die darf man in seinen Bauch packen und ab und zu mal streicheln und nie wieder hergeben. Ist das nicht schön? - Also ich finde das klasse!

 

Irgendwann überholen mich zwei Mädels und ich fühle mich gleich viel besser, weil die beiden fast so sehr schnaufen wie ich.

 

Igendwann überholt mich ein Herr, der mindestens so alt ist wie ich, die beiden schnaufenden Mädels vor mir wohl kennt und ich fühle mich völlig belämmert, weil er, auf ihrer Höhe angekommen, nicht nur nicht schnauft wie ein Dampfross (also so wie ich), sondern obendrein einen Luftsprung macht und dabei mit den Füßen klatscht wie in einem Cartoon. Das kriegte ich noch nicht einmal mit ohne Berg, Rucksack und Keuchen hin!

 

Irgendwann überholt mich ein Herr, der auf ein Ding guckt, das er um seinen Hals trägt, und mir unbedingt und ganz wichtig mitteilen muss, dass wir fast oben sind. Nee, ne? Der hat einen Höhenmesser in der Hand! Wie kommt man denn auf so eine Idee?! Erst denke ich noch, was wohl macht, dass ich von hinten so deutsch aussehe wie ich bin, denn für ihn ist es ganz selbstverständlich, mit mir in .... Ich muss mal lachen, denn es ist an seinem Dialekt ganz klar einzuordnen, dass er aus Schwaben kommt. Viel deutlicher geht es nun wirklich nicht!

 

Aber er hatte recht und bald bin ich oben am Puerto del Palo, wo beide Routen wieder aufeinander stoßen. Hier würde ich mir schon ein bisschen mehr Sicht wünschen, aber Wetter ist eben Wetter und es ist eine kluge Idee von dem, der es geschaffen hat, gewesen, dass nicht jeder an ihm herumfummeln kann.

 

Freilich geht es auch im weiteren Verlauf immer mal wieder ein bisschen bergauf, aber das Wissen, dass man über ganz oben hinweg ist, macht, dass das gar nicht mehr so wirklich in die Füße fällt. Schwups! - bin ich auch schon in Montefurrado und gar nicht lange weiter in Lago.

 

Hier ein Achtung an alle von euch, die sich so gerne darauf verlassen möchten, dass die Bar in Lago doch noch geöffnet hat: Hat sie leider nicht!

 

Am Ende bin ich schon um 13.00 Uhr in Berducedo. Den letzten Kilometer bin ich Kaffesüchtling schier gerannt, womit ich alle, die mich gar nicht lange zuvor an einem Anstieg überholt haben, in lautes Gelächter versetzte. Also bitte, wer will da behaupten, dass man beim Pilgern nicht auch Mal lachen darf!

 

Nach zwei Tassen Kaffee (nicht so liebevoll serviert, aber eindeutig geschmacklich besser und koffeinhaltiger) und Eis geht es mir auch sehr schnell wieder richtig gut (also nicht, dass es mir vorher schlecht ging. Im Gegensatz zu gestern fürhle ich mich heute hervorragend ... also mal von meinem Gekeuche bei den Anstiegen abgesehen, an denen ich aber immer höre, dass ich noch lebe, und das ist doch auch schon wieder ziemlich beruhigend). Ich muss gar nicht lange nachdenken, ob ich in Berducedo bleiben möchte, weil das möchte ich nämlich nicht. La Mesa ist jetzt nicht sooo weit weg, Santi und K. wollten bis dorthin gehen, es ist noch früh, ich bin frisch ...

 

Auch wenn ich offensichtlich nicht so aussehe. Zumindest bietet mir eine amerikanische Gruppe, die einen Begleitbus hat, an, mich ein Stück mitzunehmen. Lach! Ich glaube, ich kann schon ziemlich froh sein, in keinen Spiegel gucken zu müssen! Ist das lieb!, aber ich lehne dankend ab. Neinnein, alles gut, ich gehe weiter.

 

 

 

Habe ich eben noch gelacht? - Ich bin noch nicht richtig aus Berducedo heraus, da kommen von hinten zwei Mexikaner, die ich zuvor in der Bar schon kurz gesehen hatte, und einer von ihnen will doch allen Ernstes sofort im Wald verschwinden, um mir einen Stock zu besorgen! - Hatte ich schon erwähnt, dass ich schon nicht undankbar bin, nicht sehen zu müssen, wie ich aussehe? Ich kann ihn nur mit Müh und Not und Einsatz meines ganzen Körpers (die beiden sprechen leider nur sehr wenig Englisch, ich dafür aber kein Spanisch) (was uns allerdings in den nächsten Tagen nicht daran hindern wird, uns bestens zu verstehen) davon überzeugen, dass das weder in meinem Interesse noch notwendig ist.

 

Es gibt Momente, in denen fühle ich mich schon ziemlich alt.

 

Als ich in La Mesa einlaufe, könnte ich gut noch ein Stückchen weitergehen, aber die nächste Herberge kommt erst in Grandas de Salime und ich bin zwar schon zuweilen ein bisschen sehr überzwerg und großmäulig (was mir mit den beiden Angeboten für eine Busfahrt und einen Stock allerdings ein bisschen abhanden gekommen ist), aber so durchgeknallt bin ich nun doch auch wieder nicht. Kurz lunse ich in die municipale Herberge hinein, einfach, zweckmäßig, einfach zweckmäßig, und schere dann doch (da muss man sich übrigens auch für die municipale Herberge anmelden) zur privaten hinüber ... wo oben aus dem Fenster zwei liebe Gesichter herausgucken: Santi und K. - In Herbergen ist es manchmal, wie nach Hause zu kommen, es ist immer schon jemand da, der sich freut, dass man kommt (also bei mir zumindest, was aber nun weniger daran liegt, dassman sich freut, dass ich komme, als vielmehr daran, dass ich eben immer als Letzte komme und alle anderen schon da und zu höflich sind, mir zu sagen, dass sie auf mich nun gut hätten verzichten können) (und wenn ihr mir jetzt widersprecht, dann ist dieses Fishing for compliments erfolgreich) (also, nicht, dass ich das beabsichtigt hätte) (lalalala).

 

Diese Herberge ist klasse! Gut, für den Pool ist es nun doch ein wenig zu kalt, aber die Dusche ist regenwurmfreie Zone und so groß und so heiß und so schön, dass ich mich am liebsten unter sie hinsetzen und Ommmmm brummen möchte. Nach ein paar Dehnübungen ist alles in meinem Körper wieder da, wo es hingehört, und die Betten sind so, dass ich gar nicht erst lange eine Kante suche, bevor ich mich in meins hineinfallen lasse.

 

Und was heute noch viel wichtiger ist als ein Bett: Es gibt einen schönen großen Fernseher! Und vor dem hocke ich etwas später und gucke der deutschen Fußballmannschaft dabei zu, wie sie schon aus der Vorrunde heraus die Heimreise antreten darf. Nee, ne?

 

Und ich kann noch nicht mal über die andere Mannschaft, Korea, schimpfen, weil die beiden Koreaner an meinem Tisch so nett sind und ich ihnen den Sieg von Herzen gönne und sie sich so freuen, dass ich mich einfach mit ihnen freuen muss ...

 

Was einem Spanier nun nicht unbedingt den Wind aus den Segeln nimmt, mit einem Seitenblick auf mich derart über die deutsche Mannschaft zu schimpfen, dass mir sein Tonfall durchaus genügt und mich dankbar macht, dass ich die Worte nicht verstehe. Erst denke ich noch, dass es ein Spaß ist, aber er wird mir in den nächsten Tagen immer wieder begegnen und ich werde immer wieder das Gefühl haben, dass er mich nicht mag, weil ich aus Deutschland komme. Komisch ist das. Mich verwirrt es immer ein bisschen, wenn jemand einen großen Bogen um mich herum macht. Ich meine, wenn ich etwas getan oder gesagt habe, mit dem ich ihm vielleicht auf die Füße getreten bin, ist das in Ordnung, wenn er mich umbogt; dann weiß ich, warum er das tut, und wenn ich möchte, kann ich versuchen, den angerichteten Schaden wieder in Ordnung zu bringen. Aber wenn mich jemand nicht mag, nur weil ich Deutsche bin, dann ist das ein Problem, das nicht in mir sondern in ihm liegt und wogegen ich nichts machen kann. Freilich ist mir durchaus bewusst, dass ich manchen Menschen suspekt bin (auf dem Camino, weil ich ständig in mein Handy quassele oder mir Dinge auf zerfletterten Papierfetzen notiere), aber Hallo! Wegen einem Fußballspiel? Nee, ne?!

 

Während meine Wäsche (vor allem die von letzter Nacht) sich in einer Maschine dreht und der Spanier weiter herumgrummelt, haben wir bei einem tollen Essen (vor allem der Flan de Queso ist eine Wonne für die Zuge, auf der ich ihn mir Häppchen für Häppchen zergehen lasse) viel Spaß und stoßen herzlich auf den Sieg der koreanischen Mannschaft an. Kinders, so macht pilgern Spaß!