02.07.2018: Lugo - Ferreira

 

Wenn ein Tag mit Regen beginnt, würde ich mir am liebsten die Decke über den Kopf ziehen und warten, bis er vorbei ist. Heute ist so ein Tag. Ach nein, heute ist so ein Tag, an dem einfach nichts zusammenpasst.

 

Eine gute Sache an dieser Herberge ist, dass es morgens Frühstück gibt. Gut, der Kaffee wurde schon gestern abend gekocht, ist aber dank Thermoskanne noch richtig heiß. So habe ich doch zumindest etwas Dampfendes in der Tasse, während ich mit mir und der Welt herumzeternd versuche, eine Entscheidung für heute zu treffen ... oder zumindest meinen Abmarsch so lange wie möglich hinauszuzögern.

 

Ich liebe die Nordroute. Ich liebe es, zwei Tage komplett aus der Welt herausgenommen zu sein. Ich liebe die Strecke an der Mera entlang und die zwischen Wiesen, Weiden und Trockenmauern. Aber bei dem Subbelwetter auf glitschigem Untergrund und durch aufgeweichten Kuhdung ... Und mich jetzt hier von allen anderen trennen ... Letztes Jahr habe ich mich auf dem Camino Inglés auch von allen anderen getrennt und nein, dieses Gefühl war NICHT schön!

 

Auf dem "normalen" Camino bleiben alle anderen um mich herum, gut, zusammen mit ganz vielen Fremden, aber eben doch um mich herum. Und ein ganzer Tag auf Straßen ist jetzt nicht wirklich das Gelbe vom Pilgerei, aber vielleicht bei dieser Nässe die durchaus bessere und sicherere Alternative.

 

Was mach ich nur? - Ich hab's: Ich ruf mir ein Taxi!

 

Santi zieht nur eine Augenbraue in die Höhe und grinst mich bei diesem laut ausgesprochenen Gedanken nachsichtig an. Er kennt meine Marotte schon und weiß, dass die auch wieder vorübergeht, wenn ich nur erst mal den Rucksack auf dem Buckel habe. Und er weiß auch, dass ich manchmal einen Kruddel über mich selbst kriege, wenn ich nicht weiß, was ich will. Naja, eigentlich weiß ich das ja: Ich will, dass der Regen sofort aufhört! Ich mag den nicht! - Allerdings scheint der sich selbst so sehr zu mögen, dass er augenscheinlich für den Rest des Tages gar nicht erst auch nur ansatzweise in Betracht zieht, meinem Wunsch zu entsprechen. So ein Käse!

 

 

Was soll ich sagen? Nein, ich rufe mir kein Taxi. Ich schleppe mich, motiviert wie ich bin, nach Lugo hinauf, durch Lugo hindurch und aus Lugo hinaus. Wer mich so sieht, denkt, dass ich hier offensichtlich völlig am falschen Platz bin, bin ich aber nicht, die Wolken sind es! Die gehören hier nicht her!

 

An der Wegteilung streichele ich dem grünen Pfeil liebevoll und sehr bedauernd über die Farbe, beiße die Zähne zusammen und dackele brav die Straße entlang. Einmal schert ein Taxi zu einem Haus vor mir ein, setzt ein älteres Ehepaar dort ab und ... ich lasse es unbewunken wieder zurück nach Lugo tuckern. Noch habe ich ja auch meinen Stolz. Noch. Aber nicht mehr lange, dann halte ich einfach ein Auto an und frage, ob man mich nicht mitnehmen könnte. Nein, kann man leider nicht, denn man biegt gleich da vorne rechts ab. So ein Mist! Da überwinde ich mich und halte an und frage nach und dann war das für die Büx! Ich dackele weiter ... und weiter ... Ja, der Tag verläuft fast komplett auf einer Straße, aber die ist fast komplett mit ohne Autos.

 

Okay, denke ich, ergreife die Gelegenheit beim Schopf und achte auf den Abzweig, den du die letzten beiden Male übersehen hast! Das hilft. Aktionismus hilft immer - bei mir jedenfalls. Und es ist einer schöner Schlenker, der zu einem sehr netten alten Kirchlein und einem Pazo, einem Herrenhaus führt und ... nur zu bald wieder auf die Straße zurückkommt, auf der weiterhin kein Auto fährt.

 

Vielleicht denkt ihr gerade, warum ich dusslige Ziege keine Bilder von Kirche und Pazo hier reinstelle. Aber guckt euch mal an, was, ich euch hier zeige ... und glaubt mir, das sind die einzigen Fotos, die ich auch nur halbwegs brauchbar hinkriege! Ich glaube, mein Handy ist auch ein Schönwettermensch und weigert sich einfach bei Regen etwas brauchbares auf die Speicherkarte zu tackern.

 

Es sind solche Momente, in denen ich überlege, ob ich eigentlich noch alle Latten am Zaun habe. Kann man sich mit seinem Leben nicht etwas angenehmeres ausdenken, als bei Regen mit dem Rucksack auf dem Buckel über Straßen zu dackeln? Wie bescheuert ist das denn?! - Ich glaube, die allermeisten Pilger kennen diese Gedanken, nicht alle, denn es gibt auch welche unter ihnen, deren Herz und Freude und Wärme so groß ist, dass sie gar nicht auf die Idee kommen, ihre Wanderung in Frage zu stellen. Ich beneide diese Menschen total. Ich gehöre leider nicht zu ihnen. Ich trabe vor mich hin, mit Gott, Jakobus und der Welt herumgrummelnd.

 

Ein Lichtblick ist, dass der Regen sich doch irgendwann selbst langweilig geworden ist und sich verzogen hat.

 

Kein Lichtblick ist, dass die Bar in San Roman offensichtlich schon vor längerer Zeit ihre Türe verschlossen hat. Nee, ne?! ich hatte mich so auf sie gefreut!

 

 

Eigentlich hatte ich unterwegs auch schon beschlossen, in der privaten Herberge in San Roman zu bleiben, all meinem Herdentrieb zum Trotz. Aber hier fingert offensichtlich wieder das Heilige Jaköbchen in meinem Camino herum: Die Albergue ist mit einer Jugendgruppe komplett completo und die öffentliche Herberge noch lange verschlossen.

 

Okay, ich muss also weitergehen, was jetzt nicht wirklich schlimm ist, weil es ja noch früh ist, ich eigentlich auch nicht wirklich müde bin und die Herberge in Ponte Ferreira ist wirklich nett ...

 

Da setzen sich Neupilger zu mir an den Tisch und mit einem ziemlichen Getöse und lauten Aufhebens rufen die in der nächsten Herberge an und freuen sich unüberhörbar darüber, dass sie dort die letzten Betten haben reservieren können.

 

Ich muss meine Augen schließen, damit die Panik sie nicht von innen aus meinem Kopf herausdrückt. Ich mag dieses Bettengerenne nicht, aber es nicht zu mögen heißt ja nicht, dass mir das auch etwas bringt! Nee, ne?!

 

Ich gehe ein bisschen um die Ecke herum, zücke mein Handy und wähle die Nummer der Herberge, in der ich schlafen möchte, aber eine ältere Senora, die auf der anderen Seite abnimmt, hat so gar keine Lust mit mir zu sprechen und hängt mich einfach wieder ein. Na klasse!

 

Was ich da noch nicht weiß: Die Herbergsbetreiber haben wohl gerade in dieser Zeit gewechselt. Daheim beim Schreiben meines Bauchfüßlers habe ich dann auch Kontakt mit den neuen Hospitaleros, aber hier stehe ich jetzt gerade ein bisschen doof und unglücklich in meinem Eckchen und starre auf das aufgelegte Handy. Hatte ich schon erwähnt, dass heute so gar nichts passt?

 

 

Und hatte ich schon erwähnt, dass das Heilige Jaköbchen hier und da in meinem Camino herumfingert? Das tut er nämlich ein Stück später, nachdem ich völlig panisch und sehr überstürzt den Tisch mit den lautstarken Neupilgern sammt Herberge dahinter verlassen habe. Ich muss zwar noch ein bisschen vor mich hinwackeln, aber dann kommt von hinten ein Auto, hält auf meiner Höhe an und der Fahrer drückt mir einen Flyer einer neuen Herberge in die Hand. Ha! Vielleicht gibt es ja da noch ein Bett für mich!

 

Freilich verlangt es die Höflichkeit, dass ich ihn erst noch frage, ob er gerade zu dieser Herberge hinfährt. Freilich verlangt es die Höflichkeit auch, dass er mich fragt, ob ich mitfahren möchte, allerdings muss er sich schon ein bisschen beeilen, höflich zu sein, dann ruckzuck habe ich meine Rucksack auf seinen Rucksitz gepfeffert und rucke mich selbst bequem in seinem Beifahrersitz zurecht. Ich könnte ja jetzt behaupten, er hätte eine faire Chance gehabt, sich gegen mich als Beifahrer zu wehren, aber auf dem Camino verlangt es die Höflichkeit nicht zu lügen!

 

Allerdings muss ich gestehen, dass ich mir schon am liebsten ein Mauseloch irgendwo im Fußraum des Wagens suchen und in ihm verschwinden möchte, statt nun all meinen watschelnden Mitpilgern Flyer in die Hand zu drücken. Tapfer versuche ich, meinem Gesicht zwischen den beiden vor Scham hochroten Ohren einen freundichen Klatsch zu geben ... was mir allerdings nur bedingt gelingt und mich noch dämlicher aussehen lässt, als ich mich eh schon fühle.

 

Weil ich so auch schneller als Santiago und K. bin, kann ich mich dafür revanchieren, dass sie immer ein Bett für mich reservieren, wenn sie in eine Herberge kommen. Am Ende sind wir aber die einzigen die hier übernachten. Die Herberge liegt noch ein kleines Stück vor Ferreira, ist wohl noch relativ neu und bei diesem Wetter sind die Sonnenliegen auf der Wiese jetzt nicht unbedingt ein Pilgermagnet. Aber es ist nett, die Caldo galego (Kohlsuppe) wärmt uns von innen, der Vino tinto (Rotwein) auch, und ich habe nicht nur aller Panik zum Trotz ein Bett, sogar ein Zimmer für mich ganz alleine!

 

Nur das mit dem Internet funktioniert hier nicht so wirklich. Es heißt, Spanien ist das WiFi- Wunderland, was ganz bestimmt auch stimmt. Es gibt in jeder Bar, in fast jeder privaten Herberge WiFi, aaaber ich bin hier irgendwo im galicischen Nirgendwo und bei den derzeit herrschenden Wetterverhältnissen funktioniert noch nicht einmal der Fernseher auch nur halbwegs zusammenhängend, was uns aber nur den Hospitalero stört. Und ich notiere mir meine Gedanken eben einfach später ganz altmodisch auf einem Zettel, was auch viel mehr Sinn macht, weil K., Santi und ich ... Hach ja, Pilger halt, ewig am sabbeln, auch wenn der Tag heute echt grau und ereignislos war.