05.07.2018: O Pedrouzo - Santiago!!!!

Nein, ich bin im falschen Tag: Heute ist der

 

05.07.2018!!!!!!

 

Irgendwie habe ich unterwegs die Zeit verloren! Peinlich, peinlich!

 

Angekommmeeeeeeeen! Für mich immer wieder unglaublich! Für mich immer wieder .... Ach, ich weiß gar nicht, wie ich das nennen soll. Beim Betreten der Altstadt zieht sich mir der ganze Hals zu und auf dem Kathedralevorplatz ist Schluss mit lustig. Dabei hat sich die Kathedrale für mich wirklich hübsch gemacht. Die sonst eingerüstete Frontseite strahlt in aufgehübschter Pracht. Ich war ja immer der Meinung, dass sie alt schöner aussah. Jetzt würde ich das für mich nicht mehr so unterschreiben. Sie ist wirklich schön geworden.

 

Dann von irgendwo ein Ruf: "Andrea, you did it!!!" - da ist dann endgültig aus die Maus: Niagarafälle!

Vor allem, weil ich mich heute echt gefühlt habe, wie auf einem fremden Stern. Kennt ihr die Szene in dem Kerkeling-Film, in der aus allen Ecken Pilger ins Bild strömen? Ich hielt das immer für doch reichlich überzeichnet und hab das auch so noch nie erlebt - vielleicht auch, weil ich entweder auf dem Monte do Gozo übernachtet habe oder später gestartet bin. Aber heute startete das Gewusel in der Herberge schon kurz nach drei Uhr und selbst ich, die ich ja sonst immer der Abmarsch von allen anderen verschlafe, hatte bald keine Ruhe mehr und reihte mich schon bald in die Pilgerherde ein. 'Isse also auch so eine Stirnlampenpilgerin', denkt ihr jetzt vielleicht. Aber zu meiner Ehrenrettung lasst euch versichern: Nein, ich hatte keine Stirnlampe, bei der sind nämlich die Batterien leer (nein, nicht, weil mir ich sie überanstrengt habe, sondern weil die sich in meinem Rucksack immer von alleine änschaltet; tatsächlich gebraucht habe ich sie kein einziges Mal).

 

Ich hätte sie auch nicht gebraucht. Dunkel war es nur ab Kopfhöhe der anderen und der Weg wunderbar illuminiert. Ich glaube, von oben hat das ausgesehen wie eine Glühwürmchenstraße. Echt, das hat durchaus einen eigenen Charme, besonders mit dem gedämpften Gemurmel, das sich mit der Menschenschlange durch die letzten Ekalyptuswälder schlängelte. Es war, als hätte sich eine Decke über die Welt gelegt, die jedes Geräusch abdämpfte. Selbst die Stockklackerer klackerten sehr viel leiser. Ich war fast ein bisschen traurig, als es hell wurde, denn das Tageslicht zog diese Decke weg und es wurde immer lauter. Das verhaltene und fast heimelige Gemurmel würde von herzhaften Unterhaltungen abgelöst und der Zauber war weg.

 

Von hinten kamen immer mehr, die mich überholten. Bei den Jungen, die einfach leichtfüßiger sind, war das ja auch völlig in Ordnung, aber bei manchen Tagesbeutelchenträgern wäre mir schon wohler gewesen, wenn ich in der Nähe eine Ambulanz gewusst hätte. Manche von ihnen keuchten mehr rennend als pilgernd an mir vorbei und ich rechnete stets damit, dass einer sich ans Herz greift oder einfach umfällt. Heideröslein!

 

Dabei ist die Eile durchaus verständich. Ich bummele ja auch nicht mehr durch die Gegend, sondern möchte, wie alle anderen, zur Mittagsmesse in Santiago sein. Das wäre doch ein toller Abschluss! Und das Heilige Jaköbchen gibt mir hier und da einen kleinen Schubs: Erst habe ich das Glück von einer großen Jugendgruppe umringt zu sein, die flott zu Fuß sind, mich mitziehen und mir mehr als ausreichend leuchten (eben darum sauge ich mich auch ehrlich gesagt ein bisschen bei ihnen fest und wetze, um meine Erleuchtung nicht zu verlieren), später trabe ich in wunderbarster Unterhaltung mit zwei Mädels aus Hogkong, die in der vergangenen Nacht direkt neben mir schliefen. So geht mir der Weg flott vom Fuß und ich registriere noch nicht einmal die nicht so schönen Strecken, die mich bei unserem ersten Camino so viel Kraft gekostet haben.

 

Für mich sind diese Flashbacks immer ein bisschen ... Nee, ne? Wir starteten auf unseren ersten Weg, um Pilger zu gucken, fühlten uns ihnen ganz lange gar nicht zugehörig - und was ist daraus geworden? Natürlich freue ich mich immer, wenn ich wieder daheim bin (vor allem über mein eigenes Bett, auch wenn ich in den ersten Nächten sehr unruhig darin schlafe, weil plötzlich alles so leise ist und ich partout nicht begreife, warum ich unter einer Decke statt in meinem Schlafsack liege, mein eigenes Klo, meine eigene Dusche und Kleider, die nach Weichspüler duften), aber nach ein paar Wochen könnte ich auch gut schon wieder losgehen. Ich habe ganz viele Menschen kennengelernt, ihre Geschichten gehört, die nicht immer nur rosig waren, habe so viele von ihnen mit nach Hause genommen und wunderbare Freunde gefunden. Nicht einen Weg möchte ich missen, nicht einen Schmerz, nicht einen Unmutsmoment, nicht eine Umarmung, nicht auch nur den Bruchteil einer einzelnen Sekunde. Nicht alles ist schön auf dem Camino, aber ohne ihn wäre mein Leben sehr viel farbloser und ich bin wirklich dankbar, dass ich ihn für mich gefunden habe (Herr Kerkeling, Ihnen bin ich auch dankbar, auch wenn ich mir Ihr Buch damals eigentlich aus ganz anderen Gründen gewünscht habe und bis dato noch nie etwas von Jakobswegen gehört hatte).

 

Ich fürchte, wer mich unterwegs keuchen hört, denkt sich auch, dass er sich wohler fühlen würde, wenn er eine Ambulanz in meiner Nähe wüsste. Aber ich habe ein bisschen Zeitdruck. Heute kommt Dennis an, bis dahin möchte ich meine Compostela haben, in der Messe gewesen sein und mich ein bisschen ausgeruht haben, damit ich morgen wieder frisch bin und neben ihm kein allzu trauriges Bild mache. Da hab ich ja auch meinen Stolz.

 

 

 

Tatsächlich bin ich früh genug in Santiago, dass ich meine Compostela abholen kann, bevor die Massen das Pilgerbüro stürmen. Ich brauche nicht nur nicht lange, sondern gar nicht anzustehen und stehe sofort vor einem Pfarrer aus Pamplona (das erzählt er mir aber erst in einer Woche, weil ich heute einen ... ziemlichen Eindruck bei ihm hinterlasse), reiche ihm mein Credencial und ... Alle meine Beteuerungen, dass das ganz normal ist, wenn ich in Santiago ankomme, und dass es mein letzter Weg gewesen sein wird, wenn das nicht mehr so ist, helfen nicht wirklich ihn zu beruhigen. Ob ich ein Glas Wasser brauche? Ob ich mich setzen möchte? Ob es mir gutgeht? - Ja! Tut es! Und Hallo?!, bin ich denn wirklich die einzige Pilgerin, die hier nah am Wasser gebaut ist? Gut, wenn man Stunden in der Schlange gestanden hat, hat man jetzt vielleicht dazu nicht mehr sooo das Bauchgegrummel, aber mit ohne Anstehen ist das doch normal, oder?

K. und Santi hatte ich schon geschrieben, dass ich da bin, und brauche auch gar nicht lange zu warten, bis "ick bin eine schöne Blume" über den Kathedralenplatz gerannt kommt um mich zu umarmen. Das ist sooo schön!

 

Oh, ich darf die Dame nicht vergessen, die mich in dieser kurzen Zeit ansprach und mir gratulierte, weil ich angekommen bin. Ich denke erst noch, dass sie zu "Ankommen - empfangen werden" gehört, einer total tollen Initiative der Diözese Rottenburg, die in den Sommermonaten eine Pilgerbetreuung eingerichtet hat, aber sie lacht nur. Nein, hat ihren Camino selbst vor drei Tagen beendet und während sie auf ihren Rückflug wartet, hat sie sich überlegt, dass es doch eine nette Sache wäre, wenn sie den Pilgern, die gerade ankommen, einfach gratuliert. Ist das nicht klasse?!

 

Dann wird es doch noch ziemlich schwierig, denn eigentlich möchte ich meinen Rucksack nur schnell im Pinario abstellen, muss mich aber, weil das Zimmer schon fertig ist, mit allen Formalitäten einchecken und ihn in meine Zelle bringen, was viel mehr Zeit kostet, als ich eigentich jetzt gerade vertrödeln möchte. Ich komme auf den letzten Drücker zum Gottesdienst, finde Santi und K. nicht, dafür aber die Jugendgruppe von heute morgen auf der Innentreppe am Nordportal und weil wir ja nun Lichtbrüder sind und ich rein gar keine Lust habe zu stehen, setze ich mich zu ihnen. Sie gucken zwar ein bisschen verwirrt (ich glaube, ich war ihnen unterwegs schon ziemlich suspekt), aber das ist mir jetzt gerade mal wurscht. Immerhin könnte ich ihre Oma sein (und das ist nicht nur so dahergesagt und bedarf noch nicht einmal in einer der Generationen eine Niederkunft in übertrieben jugendlichem Alter (und mir grauselt dabei gerade selbst ein bisschen: Das könnten alle meine Enkel sein! Und das sind keine Kinder mehr!) und habe damit schon ein bisschen das Recht, mich mit dem Verweis auf meine Betagtheit wunderlich zu verhalten.

Manchmal denke ich auch wirklich, das Heilige Jaköbchen meint es wirklich gut mit mir, denn heute wird auch der Botafumeiro geschwungen! Das liegt sicher daran, dass "meine" Jugendgruppe nicht die einzigen sind, die mit mir ankommen. Freilich ist die Kirche entsprechend voll, aber das ganze hätte einen großen Vorteil: Weil diese Jugendlichen bestens erzogen und wohl von ihren Betreuern unter Obacht sind, haben die Touristen, die sonst während der Messe herumtrameln, kaum eine Chance, sich durch die Massen zu schieben. Und wenn diese jungen Leute (bei dem, der neben mir auf der Treppe sitzt, bin ich nur froh, dass er beim Schlafen nicht anfängt zu schnarchen) doch unruhig werden, ist das für mich anders. Schließlich sind sie zu einer für uns alle fast tödliche Zeit aufgestanden, sind fast 20 km marschiert und haben Welpenschutz. Auf die eine Dame, die Mitten im Gottesdienst anfängt, mit Gatten und Kindern zu zuchteln, dass sie sich doch ganz oben hinter uns hinstellen sollen, um den Botafumeiro besser filmen zu können, trifft allerdings keiner dieser Punkte zu. Dabei würde ihr Plan nur funktionieren, wenn die ganze Horde um mich herum für sie aufgestanden wäre, was, glaubt mir, keiner von ihnen freiwillig auch nur in Erwägung zieht. Habe ich schon erwähnt, dass der Junge neben mir zumindest nicht schnarcht?

Allerdings bin ich gerade dieser Dame für eben dieses Gezeter dankbar, denn als sich während der Kommunion sowieso alle in Bewegung befinden, stelle ich mich ans obere Ende der Treppe und habe eine hervorragende Sicht auf das Schwingen des Weihrauchfasses.

 

 

Ich möchte nicht über die meckern, die den fliegen Botafumeiro filmen. Ich mache es ja auch - wann immer ich kann, also eigentlich fast bei jeder Messe, die ich bisher besucht habe. Aber heute musste ich doch mal ein bisschen grinsen, weil schon überall gefilmt wird, als der Pfarrer noch einmal das Wort ergreift  .... und noch eins ..... und noch eins. Jetzt haben alle fast eine komplette Predigt auf der Speicherkarte, bevor die Tiraboleiros ihrer Amtes walten und am Seil ziehen. Das ist lustig ... aber schon auch süß, dass die Menschen ob dieses Ereignisses so aufgeregt sind.

 

Was ich ja schon gestern so schön fand, ist heute auch: Irgendwie finden sich alle vom Weg nach und nach wieder. Auch wenn der Zusammenhalt in diesem Jahr sehr viel lockerer war als bei meinem ersten Primitivo, die Grüppchen kleiner und mehr in sich geschlossen, freuen sich alle, sich wiederzusehen und angekommen zu sein. Ich mag das!

 

Freilich verteilen sich auch bald alle wieder in alle Himmelsrichtungen: Pilgerbüro, Unterkunft ...

 

Ich finde K. und Santi auch wieder, allerdings erst nach dem Gottesdienst, den er geschwänzt hat, um Shopping zu machen. Wir machen das, was wir am liebsten tun: Wir suchen und finden eine nette kleine Bar und während wir auf die von uns bestellten verschiedenen kleinen Gerichte warten, mit denen wir uns noch einmal quer durch die galicische Küche schlemmen, zeigt er uns stolz seine Errungenschaften und alle tragen SEINEN Namen! Er ist völlig aus dem Häuschen, Santiago ist SEINE Stadt! Man hat ihm zu ehren sogar eine Kathedrale errichtet und sein Name steht überall drauf, sogar auf den Tüten, in denen das drin ist, was auch seinen Namen trägt! - Hach, er ist halt doch ein sehr bescheidener Mensch.

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Dann müssen wir uns voneinander verabschieden, denn Santiago muss zum Zug. Von K. weiß ich nicht, was sie machen wird. Eigentlich sollte sie mit ihren Füßen vor allem erst einmal zum Arzt. Die beiden haben in den letzten beiden Tagen schier unglaubliche Strecken zurückgelegt, was an ihr leider nicht ohne Spuren geblieben ist. Sie hat sehr hässliche Blasen (noch mehr und hässlicher als zuvor) und ihr linker Knöchel ist geschwollen und heiß. Was dann? - Sie weiß es nicht und ist heute nicht sehr glücklich, was ich ihr nicht verdenken kann. Das Himmelhochjauchzen, das ich heute habe (und das mit der Aussicht darauf, dass Dennis heute nach Santiago kommt, nur noch schlimmer ist) ('Wie, Himmelhochjauchzen, eben hat sie doch noch geheult?' - Ja, manchmal in genau dieser Reihenfolge, manchmal auch durcheinander und dann auch gerne Mal beides gleichzeitig!), hatte sie ja schon gestern und wer schon einmal in Santiago angekommen ist, weiß, dass da gerne einmal ein Loch ist, wenn einem die Füße nicht mehr brennen und man nicht mehr über den 148ten Wadenbeißer an diesem Tag fluchen kann.

 

Ich begleite die beiden nicht zum Bahnhof. Ich mag diese Abschiede nicht. Passend zum Anlass spielt der Dudelsackpfeiffer just im richtigen Moment "Nehmt Abschied Brüder" - das ist mehr als genug für mich. Ich drücke die beiden noch einmal ganz fest und verkrümele mich ins Pinario.

 

Und jetzt warte ich auf mein Kind und mein Kind wartet darauf, dass der technische Defekt seiner Maschine in Ordnung gebracht worden ist und er mit drei Stunden Verspätung hoffentlich am Ende doch noch nach Santiago kommt. Ich sage euch, ich singe ein Halleluja, wenn er heil gelandet ist. Jaja, ich weiß, es ist alles gar nicht schlimm ... wenn es um die Kinder anderer Eltern geht.

 

Hier hänge ich mal eben zwei Informationen an, die für euch vielleicht interessant sein könnten:

Zu Rucksackträgern sagen die Security-Senors nur: Du kommst hier nicht rein. Abstellen könnt ihr sie direkt oben rechts an der Ecke der Treppe zum Eingang in einem kleinen Laden für (ich glaube es waren) 2,-- €/Tag.

Der letzte Bus von Santiago zum Flughafen fährt um 12.00 von der Praza Galicia ab, der letzte vom Flughafen geht um 1.00 Uhr.

Taxis zum Flughafen bzw. zurück haben einen Festpreis von 21,-- €.