29.06.2018: Grandas de Salime - A Fonsagrada

Ha! Ich glaube, jetzt verstehe ich das System mit der App: manchmal funktioniert sie und dann muss und ich die Gunst des Moments nutzen und schreiben und manchmal eben nicht und dann kann ich mich auf den Kopf stellen und mit den Beinen wackeln, dazu ein munteres Liedlein trällern und im Takt mit den Zehennägeln auf und ab rollen, davon wird es auch nicht besser. Nun denn, manchmal muss man einfach hinnehmen.

 

Was mich aber jetzt doch ein bisschen krüddelig macht, ist, dass mein Foto sich harnäckig weigert, Foto zu sein. Er hat sich in den Kopf gesetzt, sein weiteres Leben einfach nur als metallenes Gehäuse zu fristen, das noch nicht einmal mehr einen Piep von sich gibt. Und dabei bräuchte ich ihn doch gerade ab Santiago so dringend, wenn ich mit Dennis unterwegs bin. Hm. Hoffentlich geht das mit dem Handy und wenn nicht ... habe ich eine gute Ausrede dafür, dass meine Fotos alle grottenschlecht sind. Bisher musste ich ja immer eingestehen, dass das an mir lag. Hat auch was für sich.

Als ich morgens die Augen aufschlage, sind K. und Santi schon unterwegs und der Rest des Schlafsaals im Aufbruch.

 

Ich muss jetzt doch mal ein bisschen grinsen: Die beiden haben sich seit Penaseita total aufeinander eingelaufen. Dabei sind sie so unterschiedlich, unterschiedlicher können zwei Menschen gar nicht sein: Santi der absolute Chaot, total lieb, unglaublich herzlich, aber auch unglaublich ... Ach, ich weiß gar nicht, wie ich das nennen soll. Und es ist so schön zu sehen, wie auch die ... klassischsten Mitpilger seinem Charme einfach erliegen. K. dagegen gehört mehr zu eben diesen klassischen Menschen, sehr ordentlich, sehr geradlinig, sehr organisiert, sehr ... So ganz anders. Eigentlich sind die beiden wie Feuer und Wasser, aber uneigentlich haben sie sich gesucht und gefunden, gleichen einander aus und ich möchte schon manchmal gerne Mäuschen spielen, wenn sie miteinander laufen. Ich bin fest davon überzeugt: Sie haben viel, viel, viiieeel Spaß miteinander!

 

Ich trinke noch schnell einen viel zu süßen Kaffee aus dem Automaten und mache mich ungefrühstückt auf den Weg. Inzwischen nehme ich nicht nur wieder regelmäßig Mahlzeiten zu mir, sondern habe immer wieder auch richtig Hunger, aber so früh zu frühstücken ist und bleibt nicht mein Ding und ich weiß, dass ich das in Castro nachholen kann. Und das tue ich auch und habe schon die ersten wunderschönen 5 km hinter mir.

 

Der Weg nach Castro ist wunderschön, so schön, dass ich so auf kurz konzentriert bin, dass ich den Weitblick gar nicht vermisse. Auch die erste Windräder ein ganzes Stück später sehe ich schier erst, als ich mit der Nase fast an sie dranstoße. Aber dann heben sich endlich, endlich die Wolken und ich bin so glücklich über diese ersten Sonnenstrahlen seit Tagen, dass ich mich zwischendurch einfach ein Stück vom Camino entfernt ins Gras lege und sie ganz unverschämt genieße.

 

Ich bin einfach ein Gutwettermensch. Wenn die Sonne scheint, kriege ich auch ohne ekelhaft süße Koffeinbombengetränke Flügel und meine Füße sind so frisch gerastet so leicht, dass ich nicht nur einmal über die Grenze zwischen Asturien und Galicien hüpfe, sondern gleich ganz oft, für jeden aus der Pilgerfamilie meines ersten Camino Primitivo ein Erinnerungshupf ... und irgendwann merke ich, dass unsere Familie ziemlich zahlreich war. Heideröslein! Aber ist nicht schlimm, denn es ist ja niemand da, der sich über meine Hopserei wundern könnte und ... Ich weiß nicht. Irgendwie ist mir total leicht ums Herz und beim Weitergehen schmettere ich lauthals unanständige Lieder. Dafür brauche ich weder mein Handy, um den Text davon abzulesen, noch einen MP3-Player, die hab ich ganz alleine im Kopf und ... gut, dass da niemand da war, denn nach der Hopserei dieses Gekrächze, ich glaube, ein Augen- und Ohrzeuge wäre in diesem Moment aber so was von nicht gut gewesen. Und weil ich gerade so gut drauf bin, rausche ich an der Bar gleich nach der Grenze vorbei, obwohl ich die wirklich mag.

 

Ich halte erst wieder an der Gaststätte an der Straße und bekomme zu meiner Cola ein so großes Schüsselchen Linseneintopf, dass ich hinterher pappsatt bin. Unglaublich! Und dabei kann ich mir jetzt gerade gar nicht vorstellen, dass ich so mitgenommen aussehe!

 

Das ändert sich erst beim Aufstieg nach A Fonsagrada. Ich wundere mich noch, denn ich habe die Wegführung anders in Erinnerung. Aber ich bin ja Pilger und Pilger folgen einem gelben Pfeil ... und hier fällt mir dann noch der Vergleich mit Lemmingen ein, die sich notfalls auch in den Tod stürzen, wobei stürzen ja nach unten geht, aber das hier ... Nee! Hier geht es bergauf! Und wie! Und das hört gar nicht mehr auf!

 

 

Fragt nicht! Die Wegführung folgt jetzt wohl wieder dem ursprünglichen Verlauf des Jakobswegs und steigt auf dem letzten Kilometer 100 m hinauf ... wobei ich gerade denke, dass das gar nicht sein kann. Gefühlt war das mindestens zehnmal so viel, also eher umgekehrt 1000 Höhenmeter auf 100 m Strecke, aber das liegt sicher einfach daran, dass ich ja schon 25 km auf den Sohlen habe. Jedenfalls bin ich fix und fertig, bis ich oben bin, wackele aber ohne Halt und Stop weiter zur Herberge hinter der Kirche, weil wenn ich jetzt stehen bleibe oder mich gar hinsetze, war's das für heute und morgen und die nächsten 20 Jahre. Dann stehe ich nicht mehr auf!

 

Mit Santi und K. hatte ich mich gestern in dieser Herberge verabredet, weil ich sie so schön finde und auf alle Fälle dort übernachten wollte (wobei es jetzt in A Fonsagrada auch eine öffentliche Albergue gibt, in die ich aber nicht hineingeguckt habe) und Santi steht auch schon dort vor der Tür und fängt mich quasi auf, als ich ihm in die Arme stolpere. Ich gehe noch hinein und dann ist mir alles egal, dann lasse ich mich einfach auf die Treppe plumpsen, weil wenn ich da jemandem im Weg liege, muss er mich eben zur Seite räumen. Ich habe fertig.

 

Der Hospitalero kommt auch gleich angestürzt, wohl in der Angst, dass eine völlig zerstörte Pilgerin auf seiner Treppe direkt an der Rezeption wohl nun doch kein gutes Aushängeschild ist, nimmt mir den Rucksack ab und bringt mir Wasser, was offensichtlich eine sehr gute Idee ist. Gut, bei den ersten Schlucken schüttelt es mich ein bisschen  (das hatte ich noch nie! Und ehrlich gesagt, erschrecke ich mich gerade ein bisschen selbst) und zieht mir sogar die Schuhe aus! Ich lasse das auch alles geschehen, weil für Widersprüche fehlt mir gerade komplett die Kraft, aber nicht lange, dann geht es auch schon wieder ein bisschen besser, ich schnaufe durch, rappele mich zusammen, erhebe mich mühsam ... und puhle mit meinem Zeigefinger in der Brust des Hospitaleros herum, denn ich weiß ganz genau, dass ER dafür verantwortlich ist, dass der Weg verlegt wurde! Jaaaaaa! Wir hatten vor drei Jahren darüber gesprochen und er hat es fürchterlich beklagt, dass der Weg "falsch" geführt wird (wenn ich mir auch nicht verkneifen konnte zu argwöhnen, dass die Wegführung vor allem deswegen "falsch" ist, weil sie an einer anderen privaten Herberge vorbeiführt. Ein Schelm, wer hier und da Böses denkt!). Er kann sich offensichtich nicht wirklich an mich erinnern, aber das ist auch nicht schlimm, weil dann weiß ich, dass ich ihm bei meinem nächsten Camino wieder hier schlafen (weil er mich dann ja auch wieder vergessen hat) und mich mit blauen Flecken in seiner Brust verewigen kann.

 

Neinnein, im Ernst, der Hospitalero ist ein ganz Netter (an dessen Namen ich mich meinerseits jedoch nicht mehr erinnere; Manuel, kann das sein? - Hm.) und die Albergue ist wirklich schön und hat richtige Decken mit frischen Bezügen und duftende Handtücher und eine riesige Küche mit - Achtung! - Spülmaschine!

 

Nein, heute gehe ich nicht gleich duschen, sondern verschwinde unter eben dieser richtigen Bettdecke und bleibe da erst einmal in regungsloser Starre liegen, bis ich mich wieder soweit berappelt habe. Dann marschieren wir zur Pulperia und tun etwas gegen unsere knurrenden Mägen, bevor wir die Messe besuchen.

 

Heute ist offensichtlich der Tag meiner Grenzen, der körperlichen und der anderen. Es ist mir furchtbar unangenehm, aber ich muss die Kirche zwischendurch verlassen. Dann passiert mir aber etwas ganz, ganz, ganz arg schönes:Als ich so in einem Eckchen stehe, kommt einer der beiden Mexikaner, der mich offensichtlich beobachtet hat, und ... nein, er umarmt mich nicht nur, sondern ... er schenkt mir diese Umarmung, die ganz von innen von seinem ganzen Herzen kommt. Ich habe so etwas noch nie erlebt und kann es auch nicht wirklich beschreiben. Ein unglaublicher Moment. 

 

Danach ist in mir alles furchtbar voll und verstopft und ... Nein, so sehr ich mich auf dieses Pilgermenü gefreut habe -

 

hier ein Tipp für euch: In der Pulperia am Wegkreuz Cruceiro, an dem ihr beim Einmarsch vorbei kommt, gibt es im Pilgermenü alles, was man in Galicien gegessen haben muss: die Kohlsuppe Caldo galego, Piemientos de Padrón, kleine gegrillte Paprikaschoten ("Pimientos de Padrón, unos pican y otros no" oder: Eine ist immer dabei, die brennt), Pulpo und Flan (Pudding), dazu ein Gläschen Vino tinto, Rotwein ... Kinders, pilgern kann so schön sein! -

 

es geht ... nur ein Chupito (Stamperl)  Hierbas (Kräuter-Tresterbrand)  ... und noch eins ... und .... Hihihi, unser Schwabe ist ein wenig verunsichert, als er mir zuguckt, dabei hat er uns nicht in Penaseita erlebt! Heideröslein! Santi und K. sind eh nicht so scharf auf das Pilgermenü, denn der Pulpo ... Nein, die werden keine Freunde mehr mit ihm.