22.07.2018: Oviedo - Escamplero

Tja, nun bin ich also wirklich hier. Ich muss mich noch ein bisschen zwicken, dass ich es auch glaube. Geht euch das auch so? - Es ist völlig egal, wie oft man welchen Camino gegangen ist, es ist immer ein bisschen wie das erste Mal. Ich denke, ungefähr so müssen sich Kinder fühlen, wenn sie begreifen, dass Laufen nicht nur einmal funktioniert, sondern dass man es jederzeit wiederholen kann. Gut, Kinder perfektionieren ihre ersten Schritte, werden immer besser und am Ende wünscht man sich als Mutter/Vater fast ein bisschen, dass sie wieder in die Krabbelphase fallen, weil man sie da noch ganz gut unter Kontrolle hatte; ich habe bei mir nicht unbedingt das Gefühl, dass sich bei mir irgendwas verbessert hätte. Der Rucksack ist im Vergleich zu unserer ersten Pilgerreise leichter geworden und ich weiß, was hineingehört, aber sonst ...

 

Für alle, die wie ich abends erst nach 22.00 Uhr ankommen und am nächsten Morgen mit dem Bus weiterfahren möchten, habe ich hier einen kleinen Tipp:

 

Die Albergue Monterrey,  Rúa das Fontiñas, 65A, +34 655 484 299, ist gar nicht weit von der Estación Autobuses entfernt (über die Ampel, geradeaus von der Hauptstraße weg, zweite Straße rechts und gleich durch den Park und die Treppen hinunter zur Straße darunter und dort links auf der linken Seite), über das Internet buchbar und wartet, wenn man freundlich anfragt, gerne auch noch auf den allerletzten Ankommenden!

 

In ihr hatte ich jedenfalls eine sehr ruhige Nacht ... nachdem ich einem jungen Mann aus Australien dabei geholfen habe, seinen Kopf zu scheren. Kinders! Er hat es so gewollt und mir ist dabei ein bisschen das Herz gebrochen, als seine wunderschönen, langen Haare Büschel für Büschel in der Plastiktüte landeten.

Die Fahrt von Santiago nach Oviedo dauert unfassbare fünf Stunden! Wenn man endlich loslaufen möchte, kriegt man da echt Furunkel an den Fußsohlen!

 

Eine amerikanische Dame, die direkt vor mir sitzt, ist auch nur sehr bedingt hilfreich. Nein, ich möchte mich nicht mit ihr unterhalten, aber als eine junge Sen(Schruddel drauf)orita einsteigt und die Frechheit hat, sich neben sie zu setzen, weil das nunmal ihr Platz ist (bei Überlandbussen kauft man mit dem Ticket einen Sitzplatz), und sie sie unwirsch anfährt, es sei doch so viel Platz im Bus und warum sie sich denn jetzt ausgerechnet hier hinsetzen muss, würde ich ihr am liebsten die Pilgermuschel von ihrem Tagesrucksäckchen (ihr Koffer hatte nach ungeduldigem Aufhebends glücklich einen Platz im Gepäckraum gefunden) knubbeln. Dass sich eine solche "Dame" Pilgerin nennt, nein, das geht mir nun doch ein wenig gegen meinen Camino-Strich!

 

Nach einer langen Sightseeing-Tour an der Küste entlang und einer 15-Minuten-Pause zwischendurch (Aseos! Café con leche!) kommen wir endlich, endlich in Oviedo an und mir krubbelt es in den Füßen.

Darum gehe ich auch gar nicht erst in die Stadt, sondern starte gleich zu den beiden Kirchen von Naranco durch, in bester Hoffnung, einen Blick in sie zu werfen und vielleicht sogar meinen ersten Stempel in mein Credencial zu drücken. Aber nein, eher bestimmt als freundlich werde ich vom wachhabenden Herrn darauf aufmerksam gemacht, dass hier kein Camino ist und ich mich zur Führung noch eine halbe Stunde gedulden muss. Nein, ich kann auch nicht für den normalen Eintritt nur kurz einen Blick alleine in wenigstens diese eine der beiden Kirchlein werfen.

 

Gut, das ist zwar schade, aber so ist es eben, denke ich noch, aber als mich der Herr wieder nach Oviedo zurückschicken möchte, um den "richtigen" Camino zu gehen, fehlt mir dafür doch ein wenig das Verständnis: Anstatt sich einfach zu freuen, dass Pilger diesen Umweg hierher machen, diese auf ihren vermeintlichen Fehler hinzuweisen, sich in dieser Art von ihnen zu distanzieren und dann auch noch einen falschen Weg zu schicken, das ist für meinen Geschmack nicht wirklich freundlich. Und bin ich jetzt ein Großkotzpilger, wenn ich mich über einen bereitgestellten Stempel freuen würde? Ich würde ihnen auch gerne selbst einen aus einer Kartoffel schnitzen!

 

Aber nicht wirklich schlimm, denn dafür gibt es an der Capilla del Carmen wieder einen. Er hatte sich bei meinem letzten Besuch wohl selbst auf Pilgers Rappen davongestohlen.

Während ich so zwischen Weiden mit und ohne Kühe, Pferde und Ziegen herumtrabe, wird mir langsam klar und klarer, dass ich tatsächlich wieder hier und unterwegs bin. Ein großartiges Gefühl!

 

Irgendwie ist der Camino Primitivo MEIN Weg. Ein bisschen mehr wäre es vielleicht noch der Camino de San Salvador (guckst du Blog), aber den würde ich zumindest nicht noch einmal alleine gehen. Das war schon ziemlich unvernünftig, was ich da gemacht habe. Aber auf diesem Weg braucht man keinen Sicherheitsnetzmitgeher, denn die gibt es sowieso ... wenn die auch alle wahrscheinlich schon in einer Herberge liegen und alle Viere von sich gestreckt haben.

 

So erreiche ich zunächst die Bar in Escamplero, erledige dort die Anmeldeformalitäten für meine Übernachtung in der Herberge und überlege noch kurz, ob ich mir nicht lieber hier ein Zimmer nehmen soll. Das erste Mal in einer Herberge ankommen ist für mich immer ein bisschen komisch. Die anderen kennen sich oft schon von unterwegs und haben schon eine gemeinsame Basis, in der ich mir mein Eckchen noch suchen muss.

 

Aber alleine sein mag ich auch nicht. Beim Laufen bin ich gerne für mich, dann kann ich meinen Takt gehen, stehen bleiben, wenn mir danach ist, meine Gedanken hören. Aber am Abend mag ich es sehr gerne, mich mit anderen auszutauschen. Gut, heute sagt ganz sicher noch niemand zu mir "Schatz, wie war dein Tag?" - aber Hallo!, ich bin ja auch noch gar nicht wirklich hier! Ich bin noch in einer Blase zwischen nicht mehr daheim und noch nicht auf dem Camino und ich kenne mich: Es dauert ein Weilchen, bis diese Blase platzt, aber wenn sie platzt, ist es gut, wenn niemand um mich herum ist, weil ich den sonst ersäufe.

Der Wirt versichert mir, dass bereits Pilger für die Herberge eingecheckt haben. Das beruhigt mich jetzt ein bisschen, denn noch schlimmer, als sich sein Eckchen in einer bestehenden Pilgergemeinschaft zu suchen, ist es für mich, alleine in einer Herberge zu übernachten. Und tatsächlich: Als ich wenige Minuten später ankomme, herrscht dort bereits lebhafter Trubel.

 

In den Schlafräumen stehen zum Teil 3-stöckige Betten und ich muss fast lachen, weil ich an Viana und Thomas Schnarchmauer gegen diese ewig nörgelnde Mutter denken muss; das war im ersten Jahr auf unserem ersten Camino überhaupt. Damals bin ich erschrocken, heute sind diese Wolkenkratezerbetten fast ein bisschen heimelig für mich. Noch heimeliger sind die Duschköpfe, die wohl schon vor langer, langer Zeit ihr Innenleben verloren haben - sie sind meinem Haupt so ähnlich! Aber es kommt Wasser heraus und das spült mir den ersten Staub dieses Weges vom Körper, was will man also mehr?

Hier möchte ich mit einem Knaller meiner unerschöpflichen Weisheit enden:

Die schönsten Herbergen sind die, in denen man nette Menschen trifft und an ihnen fröhlichen Abend verbringt.

 

Also heute Lieben: Sind wir einfach nett und fröhlich und machen uns selbst zu einer wandelnden schönsten Herberge des Weges! Das ist doch ganz einfach, oder?!