25.06.018 Bodenaya - Campiello

Eigentlich habe ich hier geschrieben: "So, nach einem WiFi-freien Abend in Bodenaya habe ich hier in Campiello wieder Anschluss an die Außenwelt. Aber darf ich Mal was sagen?: Ich habe es noch für vermisst und wer die Herberge von David kennt, weiß ganz bestimmt, warum." Aber ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, ob es bei David  WiFi gibt, ich habe es gar nicht ausprobiert, weil auf die Idee wäre ich gestern gar nicht gekommen. Dafür war es viel zu schön und lustig und interessant. Ich wollte keinen Moment, kein Wort, kein Grinsen verpassen!

 

Irgendwie scheint mich Davids Kaffee heute morgen auch voll gepusht zu haben. Als ich gestern bei ihm ankam, habe ich geschworen, nie wieder auch nur einen Meter zu laufen. Und glaubt mir: Ich habe es ernst gemeint! Heute watscheln meine Füße wie von Geisterhand bewegt und es tut mir gar nicht weh. Und wisst ihr was: Ich bin angekommen. Gestern abend kam endlich dieser Moment ... Die, die den Camino kennen, wissen vielleicht, was ich meine: Der Moment, an dem sich der Hals komplett zuzieht und man halb mit Schrecken und halb mit Glück und halb mit erschrecktem Glück und halb mit glücklichem Erschrecken feststellt, dass man auf dem Camino ist, also so richtig, so aus dem Bauch heraus. Neinnein, der Kopf weiß das schon schon länger und hatte damit auch so sein Gefühlchen, aber wenn der Bauch es merkt, dann ist das schon ziemlich ... Eben ein Moment, in dem man gerne einen Augenblick alleine ist. Mir geht das jedenfalls immer so und bei mir dauert es immer einen Augenblick, bis er kommt, aber ich bin ja auch ein gebürtiger Hesse und die sind bekanntlich nicht die schnellsten.

Aber nach dem Kaffee war der Weg nach Tineo gar nicht schlimm. Und wenn doch, habe ich einfach daran gedacht, als ich ihn zum ersten Mal lief. Heideröslein!,war das eine Matschepampe! Gut, ganz ohne Schlamm geht es heute auch nicht aus. Früher dachte ich ja, das liegt am Regen, aber inzwischen bin ich davon überzeugt, dass der Schlambambes einfach zu diesem Weg gehört. Und wie gesagt, es ist heute gar nicht sooo schlimm und die Reste von gar nicht sooo schlimm schrubbe ich mir einfach vor Tineo an einem Brunnen von den Schuhen.

 

Oh, für alle, die den Weg noch gehen möchten: Nach Bodenaya kommt La Espina (Herbergen), dann am Kreisel nach rechts weg nach La Perada und an dem mit Muscheln verzierten Haus vorbei in die Weiden und da kommt nach einem knackigen Stück bergauf auf der linken Seite ein Muschelstein, der in die falsche Richtung zeigt. Lasst euch von ihm nicht irritieren!

 

Oh, das sollte ich vielleicht noch kurz erklären: Die Muscheln in Asturien und Galicien (naja, da die auf den den neuen Steinen leider nicht mehr, aber die alten Zeichen, z. B. die Muscheln an den Hauswänden) haben unterschiedliche schreibweisen: In Asturien zeigt der Knupfel (Verschluss) in Richtung Santiago, in Galicien die Strahlen (Breitseite). Wenn man das weiß, kann man sich supergut orientieren und wird, pfeilhörig, wie Pilger nun einmal sind, von einem Stein, der in die falsche Richtung zeigt eben auch ziemlich verunsichert.

Jedenfalls komme ich irgendwann mit frisch gereinigten Schuhen in Tineo an und bin ein bisschen begeistert: Nicht nur, dass der Weg hierher noch immer so schön ist, nein, heute hat sogar die Kirche geöffnet, die ich sonst nur verschlossen kenne - vielleicht nur, weil zwei Herren darin arbeiteten. Aber das ist ja egal, sie ist offen, ich gehe hinein und die beiden Herren lassen mich sogar ins Museum, das mir wirklich Halsknödel machte:  Es gibt dort Darstellungen von Maria mit Kind zurück bis ins 13. Jh. - wunderschön!

 

Gerade als Mutter finde ich es immer wieder total beeindruckend, wie Maria in Spanien wirklich als Mutter verehrt wird. Bei uns findet man sie ja meist in Bethlehem, am Kalvarienberg oder als Pietà mit dem roten Jesus auf dem Schoß, aber in Spanien ist das anders. Da ist sie nicht die Muttergottes, sondern die Mutter Gottes und als Mutter bringt sie eben nicht nur ein Kind auf die Welt und betrauert seinen Tod, sondern sie ist auch schwanger und stillt das Kind an ihrer Brust. Und seit ich bei den Prozessionen zur Karwoche Semana Santa gesehen habe, wie Menschen immer wieder die Pasos der Maria berührt und sich anschließend bekreuzigt haben, hab ich eh Halsknödel darüber, wie sehr sie sie verehren. Es ist, als wären sie mit ihrem ganzen Gefühl bei ihr. Das ist ziemlich berührend.

 

Das Foto ist nicht besonders gut, aber vielleicht könnt ihr doch ein bisschen nachvollziehen, wie schön die Figuren sind. Wenn ihr also nach Tineo kommt und die Gelegenheit habt, schaut unbedingt einmal in die Kirche!

 

 

Nach einer ausführlichen Pause (als ich zu meinem Kaffee auch noch zwei Cola bestellte, guckte mich der Wirt ganz erschrocken an), war ich wieder fit und beschloss hier nicht zu bleiben, auch wenn es mich schon ein wenig reizte, in der Hotel-Herberge zu bleiben und mich ein halbes Stündchen in die Sauna dort zu legen. Das finde ich eh ziemlich cool: In einem ganz alten Palast direkt unten am Rathaus gibt es ein Hotel, das auch ein Pilgerzimmer eingerichtet hat. 'Das wird auch entsprechend teuer sein!', denkt ihr jetzt vielleicht. Stimmt! Es kostet 12,-- € und Peregrinos dürfen (ich glaube gegen einen kleinen Aufpreis für Handtücher) den Spa-Bereich mitnutzen. 

 

Aber es ist noch früh, ich bin wieder fit und irgendwie fehlt mir durch die lange Anfahrt von Santiago nach Oviedo eh ein halber Tag, also gehe ich weiter, weiß ich doch, dass der größte Teil der Strecke richtig schön ist.

 

Ja, ist er auch, aber als ich zwischendurch in meinen eigenen Bauchfüßler gucke und lese, dass man die Steigung gar nicht merkt, weil es so schön ist, lange ich mir doch einmal selbst an den Kopf. Wie um Himmels Willen kam ich denn auf die Idee, so maßlos zu untertreiben?! Der Weg ist wunderschön, aber die Steigung ist schon auch anstrengend! Allerdings gibt es so viele schöne Ausblicke, dass man getrost ganz oft stehen bleiben und sich verschnaufen kann, während man die Speicherkarte mit Eindrücken füllt. Ich glaube, ich habe alleine von diesem Stück Weg mindestens 148 Fotos! (Nein, ist natürlich übertrieben. Es war ja niemand um mich herum und ich war meist so sehr mit fluchen über mich selbst beschäftigt, dass ich gar nicht daran dachte, den Foto zu zücken.)

 

Zwischendurch mache ich ein Päuschen unter einer Birke, der ich zum Abschied als Dank für den kühlen Schatten, den sie mir geschenkt hat, dann doch auch mal über ihre weiße Rinde schrubbe.

 

Schließlich habe ich sogar genug Luft und Lust, mir mit einem kleinen Abstecher die alte Klosterkirche von Obona anzusehen - auch ein nettes Plätzchen für eine Rast, nur die unten auf einem Schild versprochene Bar, in der man sich wohl auch den Schlüssel zur Kirche geben lassen kann, liegt wohl irgendwo viel weiter oben. Ich überschlage kurz: Hinauf steigen, Schlüssel holen, runter steigen, angucken, hinaufsteigen, Schlüssel abgeben ... Nein, mir reicht der Anblick von außen.

 

Nun ja, die Kirche sieht schon ein bisschen bedürftig aus, aber ich mag solche alten Orte und ich mag den etwas schmucklosen benediktischen Baustil. Und dieses Gotteshaus ist schon beachtlich alt. Das Kloster wird erstmals im 10. Jh. erwähnt und eine zeitliang wohnten in ihm Mönche und Nonnen unter einem Dach. Hört sich komisch an, war aber gar nicht so wirklich selten. Dabei führte intern meist die Äbtissin das Regiment, während der Abt das Kloster nach außen vertrat.

 

'Das war eben noch vor der Emanzipation", denkt ihr jetzt vielleicht, aber mal ganz ehrlich: Heute ist das doch ganz oft noch gar nicht sooo viel anders, oder? Also ich muss schon ziemlich oft in Situationen schlucken, wo ich als Frau zwar meine Emanzipation abgeschlossen habe, aber Herren gegegnüberstehe, die damit noch gar nicht angefangen haben. Und das im europäischen 21. Jh.! Wobei: Manche Männer sind durchaus aus lernfähig. Nachdem ich im Baumarkt immer ein bisschen doof neben Thomas stehen gelassen wurde, weil ich halt nunmal "nur" die Frau war, änderte sich das schlagartig, als ich ankam und einen viertel Zoll Zapfzylinder verlangte (sprecht das mal nach: viertel Zoll Zapfzylinder. Ich habe auf der ganzen Fahrt zum Baumarkt geübt, damit ich mich nicht verdattere, und artikulierte es mit vor stolz geschwellter Brust und sehr überzeugend, so überzeugend, dass es mir gelang, bei der Antwort, "ach, einen Außenwasserhahn" ein solch nachsichtiges Lächeln auf mein Gesicht zu zaubern, dass mein Gegenüber nicht im Mindesten merkte, dass ich keine Ahnung hatte, was ich eigentlich wollte). Da stieg mein Ansehen im Baumarkt schlagartig und so sehr, dass es mir schon fast peinlich wurde, als nunmehr Thomas ein bisschen dusslig neben mir stehengelassen wurde.

 

Aber das nur am Rande.

 

Viel wichtiger ist: Hier im Monasterio von Obona entdeckte man auch, dass man Äpfel nicht nur essen, sondern auch trinken kann, also nicht als Saft, sondern als Sidra. Das muss um das Jahr 800 herum gewesen sein. Und ich höre die Rufe: " Bist du verrückt? Du bist ein Hesse! Und Äppler gehört zu Hessen wie der Fisch ins Wasser!" - Ja, es kruddelte mir auch ein bisschen im Bauch, als ich lernen sollte, dass der eben nicht in Sachsenhausen erfunden wurde, aber es tut mir leid, ihr lieben Hessen: In Deutschland wurde Apfelwein erst im 16. Jh. populär ... was aber nichts daran ändert, dass er vom Bembel ins Riffelglas geschenkt gehört wie das Schlübbsche auf ein Geschenk gebunden.

 

Aber eins könnten wir Hessen uns von den Asturiern abgucken, nämlich das Escanciado, das Einschenken des Weins, was, wenn es richtig gemacht wird (also nicht so wie beim sehr dürftigen Versuch von mir auf dem Foto, die, die es können, sehen sehr viel eleganter aus und haben auch bei viel mehr Abstand zwischen Flasche und Glas herzlich wenig Probleme, letzteres zu treffen), richtig gut aussieht (ich nehme hier das Foto von mir nur, weil die Gesichter von anderen immer ein bisschen sehr komisch aussehen, wenn man sie herausretuschiert. Gut, meins sieht auch unretuschiert komisch aus, aber ein saurer Apfel ist eben in jedem Äbbelwoi).

 

Naja, und so wirklich immer treffen auch die geübtesten Escanciadors nicht ins Glas, weshalb früher die Böden der Kneipen mit Sägespänen bestreut waren ... die dann auch ein bisschen das Aufdotzen abfingen, wenn man nach reichlichem Genuss wankend und torkelnd die Kneipe verließ.

 

Oh, und ganz wichtig: Ein Zusammenhang von Sidra und der Bedeutung des Monasterios als Pilger-Hosital auf dem Camino nach Santiago ist selbstverständlich rein zufällig!

 

Soweit ging auch alles mit dem Weg für mich ziemlich gut heute, wenn man mal von meinem Gefluche unterwegs absieht, aber das gehört einfach dazu, stärkt die Lungen und löst Spannungen. Auf die letzten drei Kilometer hätte ich aber sehr gut auch verzichten können, dennn sie verlaufen ausschließlich auf einer Landstraße, ausschließlich schattenlos und nicht wirklich prickelnd. Bei den heutigen Temperaturen komme ich mir vor, wie ein Hähnchen im Backofen: Von oben habe ich Oberhitze von der Sonne, von unten Unterhitze vom Asphalt, nur dass ich nicht so lecker dufte, mehr nach ... Oh, das wollt ihr nicht riechen! Aus der Erinnerung weiß ich, dass sich diese Strecke ganz schön ziehen kann, mein Verstand setzt einen Fuß vor den anderen während mein Bauch ständig auf dem Absatz umkehren und wieder zurückgehen möchte (Kunststück, das was die ganze Zeit Steigung war, wäre ja jetzt Gefälle).

 

Als ich in Campiello in Ricardos Bar auf einen Stuhl plumpse und die Cola schneller aus mir wieder heraus verdampft als hinein gegossen ist, bin ich schon ein bisschen stolz auf mich, wenn es auch ein bisschen dauert, bis ich dafür wieder die Kraft habe. Aber es ist schon sehr lustig mit solchen körperlichen Erschöpfungen: Wenn ich ein paar Minuten gesessen habe, bin ich auch wieder zumindest soweit fit, dass ich duschen kann und danach ist es so ein bisschen wie nach einer Geburt: Ruckzuck hat man den Schmerz vergessen.

 

Und eigentlich würde ich jetzt auch gerne schreiben, dass ich mich dann auch schon wieder auf den nächsten Tag freue, aber ganz so ist das heute nicht. Ich merke, dass ich einfach nicht so fit bin, wie ich bei meinen letzten beiden Primitivos war. Vielleicht kommt das noch, hoffen tu ich es jedenfalls, aber noch ist es eben nicht so und ich kämpfe echt mit mir, ob ich über den Hospitales laufe oder nicht. Aber am großen Pilgertisch bei Herminia - hier mal kurz eingeflickt: Die Herberge bei Ricardo ist die schönere zum Übernachten, aber Herminia hat den größeren Tisch, an dem alle Pilger rundherum sitzen und gemeinsam essen können und sie kocht wirklich lecker und mehr als reichlich - vergesse ich meine Gedanken ein Weilchen und wenn ich mal gerade nicht mitschnattere, trete ich gedanklich einen Schritt zurück, betrachte mir die Szene wie von außen und genieße diesen Moment total ... und unbeschwert, denn noch weiß ich ja nicht, dass ich in dieser Gruppe hier jetzt zum letzten Mal zusammensitze. Morgen werde ich alle verlieren. Gut, dass ich das hier noch nicht weiß, sonst wäre mir das Herz schon ein bisschen schwer.

 

Aber eins muss ich euch noch erzählen, weil mir das nun doch ziemlich gutgetan hat: ich liebe es, in einer jungen Gruppe unterwegs zu sein, aber ich fürchte es auch immer ein bisschen, weil ich nicht in die Mutterrolle rutschen möchte. Das geht gar nicht! In der Herberge sprach dann doch jemand das unverzeihliche Wort aus: Mamá Peregrino. Nee, ne? - Aber ich kam gar nicht dazu, auch nur einen bösen Blick zu werfen, denn mit dem letzten Buchstaben standen alle anderen auf den Barrikaden und machten ihm klar, dass das ja nun so was von Banane ist und er das NIE wieder sagen soll! - Gut, dass ich nicht weiß, dass sie ab morgen weg sein werden, ich glaube, ich hätte haltlos geheult und das wäre blöd gewesen, weil dieses Gefühl, dieses so anerkannt und eingeflickt sein, auch unverwässert total schön war.