Oviedo - San Juan

Nur drei in einem Zimmer,  da fehlt die Wärme,  dafür gibt es Sauerstoff ohne Ende und ich bin wieder um 6.00 wach und meine beiden Mischläfer,  gerade erst auf dem Camino angekommen und voll Tatendrang,  auch.  Also machen wir uns fertig und auf den Weg. 

 

Aus Oviedo heraus ist das gleiche Gewusel, auf das ich schon in León ganz versessen war: Autos, Straßen, Ampeln, Menschen, Radau und Lärm und unschöne Autoauspuffgerüche. Neinneinnein, das muss man nicht haben! Im Zickzack geht es in Richtung Banhnhof und dann trenne ich mich auch schon vom eigentlichen Camino, denn ich gehe ein bisschen eigene Wege. Na Hallo! Ich bin über 18 und wahlberechtigt, ich darf das!

Ich beginne meinen Camino Primitivo mit einem meiner absoluten Musses und gehe über die beiden kleinen Kirchen Santa Maria del Noranco und San Miguel de Lillo - ein kleiner Umweg, der sich aber absolut lohnt!

 

Santa Maria wurde im 9. Jahrhundert als Palastkapelle erbaut. Im 12. oder 13. Jahrhundert wurde sie allerdings durch einen Erdrutsch teilweise zerstört und als Kirche neu errichtet. Dann wurde hier etwas dazu-, da etwas um- und dort etwas weggebaut und was geblieben ist, ist ein trotzdem uraltes Gemäuer, das irgendwie eine ganz eigene Atmospäre hat. Besonders innen: Es ist so kalt und doch irgendwie so ... kuschelig für den Bauch.

 

Von San Miguel habe ich sogar ein ganz genaues Datum gefunden: Sie wurde auch als Palastkirche gebaut (warum die damals gleich zwei in einem Palast gebraucht haben, das weiß ich jetzt auch nicht) und am 23. Juni 848 geweiht. Ob der Palastherr an diesem Tag rote oder gelbe Boxershorts getragen hat, habe ich leider nicht herausfinden können. Sie galt jedenfalls zu dieser Zeit als DIE schönste und vollkommenste Kirche Spaniens und besass als absolutes Novum keine Holz- oder Ziegeldecke, sondern ein richtiges Steingewölbe. Trotz des Erdrutsches ist bis heute ein Drittel von ihr erhalten. Also wenn von mir in 1000 Jahren noch ein Drittel erhalten ist, dann ist das bestimmt nicht mehr so schön.

 

Beide Kirchen wurden 1985 in die Liste der UNESCO Kulturdenkmäler aufgenommen.

 

Nachdem ich genug geguckt und fotografiert habe, geht es weiter an Weiden vorbei und unter Bäumen hindurch und durch kleine Dörfer. Viel mehr kann ich eigentlich über den Weg heute auch gar nicht schreiben. Vielleicht auch, weil ich mich hier noch ein bisschen fremd fühle. Ich weiß auch nicht. Natürlich bin ich ja nun immerhin schon den siebten Tag in der spanischen Wildnis unterwegs, aber der San Salvador war irgendwie anders. Da hab ich gewusst, dass ich alleine bin und das war gut so. Hier habe ich das Gefühl, ich müsste irgendwo dazugehören - ich weiß nur noch nicht zu was.

 

Als ich in Grado ankomme, bin ich schon ganz schön müde und geschafft. Aber hier gibt es keine Herberge und alleine in einem Hotelzimmer schlafen - nein, das möchte ich nun ganz und gar nicht. Hallo! Ich bin Pilger und will Rudelschnurchel!

 

Ich mache eine lange Pause in einer Bar und kaufe Nachschub für meinen Rucksackvorrat. Außerdem hat man mir gesagt, ich müsste, wenn ich in der nächsten Herberge übernachten möchte, ganz dringend Nudeln und Tomatensoße mitbringen. Also kaufe ich noch ein und mache mich erneut auf den Weg.

 

Aber schon bald merke ich, dass ich mich total über- und den Weg reichlich unterschätzt habe. Auf der Karte sieht das so nah aus! Isses aber nicht und ich komme ganz schön ans Knabbern und Prusten.

 

 Irgendwo in der Pampa hält ein Aut an,  der Fahrer mit komischen Zähnen (nicht böse sein,  wenn ich das hier so offen schreibe,  ich mein es nicht böse,  es ist halt das,  was ich denke)  (aber nur im ersten Moment,  dann nicht mehr,  aber das weiss ich ja im ersten Moment nicht,  was ich gleich denke.  Ich war halt voll erschrocken: Ich als Frau allein auf weiter Flur,  Auto hält an,  ich ganz alleine! 

 

Mann steigt aus und ich blöde Kuh muss erst ganz lange nach meinem Pfefferspray kramen, weil das ganz unter Gelbeutel,  Zgaretten, Handy und Foto druntergerutscht ist,  Mann schenkt mir ein herzliches Lächeln und steigt aus. - Hallo! Was macht der da! Der soll in seinem Auto bleiben! Und schon ergiesst sich aus seinem Mund ein Schwall an ganz vielen ganz schnell gesprochenen spanischen Wörtern.  Ich verstehe nur "Albergue" und "no problem" und seine Hände,  die schon mal in der Luft meinen Schlafsack auf ein ganz bestimmt freies Bett legen und meine Wäsche waschen (neinneinnein,  er zieht mich weder mit Augen noch mit Händen in der Luft aus,  er ist einfach nur unbeschreiblich lieb!) und dass er der Hospitalero ist und ob mit meinen Füssen alles gut ist (ich bin mir sicher:hätte ich da nicht beteuert,  dass alles gut ist mit mir,  hätte er mich auf Händen zur Beifahrertüre geschleppt mitsamt Rucksack und hätte mich zur Herberge kutschiert. Ganz bestimmt!) und wo ich langgehen muss und dass er später kommt und ich nur einfach die Zeit geniessen und mir keine Sorgen machen soll.

 

Und ich geniesse, und zwar sowas von! Meine Beine sind schwer wie Blei, meine Füsse platzen gleich,  mein Rücken wehrt sich mit jeder Zelle gegen den Rucksack - ich kann nicht mehr,  ich will nicht mehr,  ich lasse mich jetzt einfach mitten auf die Strasse fallen und bleib da liegen.  Er hat doch gesagt,  dass er später kommt.  Da kann er mich ja auf seinen Beifahrersitz schleppen und kutschieren! - Und da bin ich noch lange nicht an der Kreuzung zur Herberge und von da ist es noch ein ganzer Kilometer!

 

Aber ich bin ja schon alt und zäh,  manchmal schier ungeniessbar und im Moment rieche ich obendrein vermodert - ich gebe nicht auf! Mir ist nach auf alle Vieren zu kriechen,  aber ich tu es nicht.  Ich betrete aufrecht die Herberge,  setze mit aller Haltung den Rucksack ab...  und lasse mich dann erst krachend auf eine Bank fallen.

 

Als ich mich wieder eingekriegt habe,  betrete ich den Schlafsaal und mir bleibt die Luft weg: Die 20 Betten sind fast alle belegt! Heideröslein!, wo kommen denn all die Menschen her?! Voll der Hammer! Die Herberge in Oviedo war ja auch gut gefüllt,  kein Thema.  Aber da sind die Mengen nicht aufgefallen,  weil die unmittelbare Menge ja aus höchstens 5 Mitschläfern bestand. Und jetzt sind es 5 links, 5 rechts,  5 vorne und 4 hinten und 1 - und das ist im Moment ein bisschen überfordert. 

 

Als der Hospitalero später wiederkommt,  kommt er zuallererst auf mich zu und fragt,  ob ich in Ordnung bin.  Offensichtlich ist er mit dem Auto besonders vorsichtig gefahren und hat nur darauf gewartet,  dass er mich auf Händen schleppen kann.  Bei der Anmeldung will er dann Oviedo als Startpunkt schreiben.  Oviedo! Dass ich nicht lache! Ich erkläre ihm: Oviedo no,  Leon! Da kriegt sein Gesicht einen ein bisschen ungläubigen Ausdruck:  Camino de San Salvador? - Als ich nicke, kriege ich selbst ein bisschen eine Gänsehaut vor lauter Hochachtung vor mir. Dabei war das ja jetzt ... schon tüchtig,  aber auf den Untersberg oder den Watzmann ist auch nicht weniger - nur der Rucksack. Und gut,  da bin ich nicht allein und muss mich nicht darauf verlassen,  dass das mit der GPS-Ortung nicht nur eine Erfindung fantasievoller Drehbuchautoren (Phantasie? - Nein, Psychothriller und Horror! ) ist.  Und den Schnee hätte ich nicht haben müssen.  Aber sonst....  bin ich trotzdem ganz schön stolz auf mich. 

 

Und Domingo offensichtlich auch,  denn er springt auf und drückt mich ganz fest an seine liebe Brust und da sind mir seine Zähne so was von piepegal,  da drückt er so fest,  dass mir oben die Körperflüssigkeit aus den obersten Körperöffnungen herausquetscht, wie aus einer verwelkten Pampelmuse (Lotti Huber: Diese Zitrone hat noch sehr viel Saft!). Und dann schenkt er mir noch so ein Salvador-Tuch und einen Joghurt und ist ganz aufgewuselt.  Mir ist das aber auch ein bisschen unangenehm,  weil ausser einem,  der den Salavdor auch schon gelaufen ist,  kennt den hier niemand und weiss gar nicht,  was das ganze Aufhebens soll. Und eigentlich ist es mir auch ein bisschen unangenehm,  das alles hier haarklein zu erzählen ... aber nehmen lasse ich es mir doch nicht!

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Kommentare: 1
  • #1

    Jakobina (Montag, 21 Juli 2014 15:23)

    Andrea! Endlich eine, die auch den Weg über die Kirchen genommen hat! Ich dachte zuerst, ok, man sieht so viele Kirchen auf dem Weg. Soll ich echt den Umweg machen? Im Regen? Und dann hielt so ein Kleinlaster und der Fahrer - mit komischen Zähnen - fragte mich, ob ich den Weg verloren habe und ich sagte, nein, ich überlege nur ob ich weitergehen soll oder rauf auf den Naranco zu den Kirchen. Under er sagte: Unbedingt!! Und dann bestand er drauf, mich im Regen hinaus zu fahren. Ich stieg ein - niemals wäre ich sonst irgendwo auf der Welt zu einem völlig Fremden, etwas verwahrlost aussehenden Fahrer in einen dreckigen Kleinlaster gestiegen, denke ich! Er erzählte mir noch, er sei der Hospitalero von San Juan de Villapanada (!), zeigte mir dann, wie ich ohne großen Umweg wieder auf den Camino komme und wünschte mir noch einen guten Weg. Und die Kirchen waren so schön und zur Belohnung hörte der Regen auf und die Sonne kam dann raus - für die nächsten Tage! leider war ich nicht in seiner Herberge.