03.07.2018: Ferreira - Boente

Neuer Tag, neues Glück! Und guckt doch mal in den Himmel! Die Wolken verziehen sich und hier und da blinzelt schon wieder die Sonne durch. Das ist doch fein! Und Frühstück gibt es auch! Das ist doch fast noch feiner!

 

Also, das mit Ferreira und dieser mittelalterlichen Brücke versuche ich nun schon zum dritten Mal zu verstehen und schaffe es nicht. Das, was da so plätschert, ist höchstens ein Bächlein, das war drüber führt nicht wirklich ein Brücklein und schon mal ganz und gar nicht mittelalterlich. Aber drumherum gibt es ein nettes Rastplätzchen, was mich davon überzeugt sein lässt, dass das hier eben doch ein wichtiger Ort ist, den ich halt einfach nicht verstehe. Nun gut, das muss es ja auch geben.

 

Stellt euch mal vor, es gäbe nur Dinge, die ich verstehe! Die Mathematik wäre gerade so mit Ach und Krach auf plus und minus begrenzt, die deutsche Rechtschreibung löste sich in Luft auf, Politiker würden allesamt arbeitslos und ich müsste mich echt fragen, wer denn eigentlich meine Leben gezeugt hat und zu wem die Klamotten in der zweiten Schrankhälfte gehören. Und ich könnte nicht mehr lauthals über die Menschen schimpfen, die sich so benehmen, dass ich mir an den Kopf lange, all die schönen Schimpfworte beim Autofahren blieben ungebrüllt und ich könnte die Menschen, die sich an der Kasse vor mich drängeln, nicht mehr aufklären, dass sie, hätten sie mich gefragt, genau eben auch dort stünden, mir aber die Gelegenheit gegeben hätten, großzügig zu sein, und sich selbst die, sich über meine Großzügigkeit freuen zu dürfen. - Gut, wenn ich das erkläre, könnte ich immer genauso gut in Ostusbekisch sprechen (wenn es diese Sprache gibt), aber irgendwie macht es meinem Ärger Luft und widersprechen tut mir auch keiner, weil wenn man nicht versteht, was der andere eigentlich sagt, findet man auch keinen Punkt, an dem man für ein Streitgespräch ansetzen könnte. Ha!

 

Wo bin ich jetzt? - Ach ja, da: Ich stehe an einem ganz süßen Brunnen, der dem Heiligen Georg gewidmet ist, und strahle mit der Sonne um die Wette. Das ist doch schön! ... wenn auch ziemlich unscharf. Ich brauche dringend einen neuen Foto!

 

Beschwingt durch einen Stein, der mir noch einmal "Feliz Camino", einen glücklichen Weg, wünscht, marschiere ich um einen felsigen Berg herum und kann schon bald danach einen ersten Blick auf Melide werfen. Ui, das ist aber noch ganz schön weit bis dahin! Nun denn, munter ans Werk ... oder vielmehr an den Lauf und irgendwann bin ich tatsächlich dort und hocke auch schon - schwups - in einer Bar bei Café und Eis.

 

Jetzt denken vielleicht einige von euch: Melide und Eis? Das geht ja gar nicht! In Melide muss man Pulpo essen! - Aber mal ehrlich: Pulpo gibt es überall in Galicien und es sieht überall genauso ... gewöhnungsbedürftig aus und schmeckt überall genauso nicht gewöhnungsbedürftig lecker.

 

Nein, ich bleibe hier nicht. Mein erklärtes Ziel für heute ist Boente mit seiner netten kleinen Kirche und einem der schönsten Santiago-Altäre überhaupt. Gut, ganz so weit komme ich heute nicht. Ich bleibe in der Bar El Alemán hängen. Die war auf unserem ersten Camino ein absolutes Muss: "Die zwei Deutsch" und es ist unfassbar, was aus ihr geworden ist: Sie ist neu, sehr nett, hat einen total schönen Außenbereich mit Wasserbecken, das zwar nur für die Füße gedacht ist, in dem man aber auch gut ein Ganzkörpertauchbad nehmen kann und eine sehr neue sehr nette Herberge. Etwas in mir schiebt noch ein bisschen an und meint, ich könnte doch gut auch weitergehen, aber das hat der Rest von mir schnell überstimmt und weil ich ja nunmal ein demokratischer Mensch bin, habe ich ruckzuck eingecheckt, hocke in der Sonne und winke den vorbeimarschierenden Pilgern zu.

 

 

 

Dabei fällt mir auf, dass das gar nicht sooo viele sind, wie ich gedacht habe. Schon in Melide war es relativ ruhig. Keine Massen, die mich schier über den Haufen trabten, sondern so ... ganz und gar nicht. Komisch. Dabei bin ich fest davon überzeugt, dass die Statistik der in Santiago ankommenden Pilger auch in diesem Jahr wieder nach oben schnellen wird (letztes Jahr waren es über 30.000!). Aber die scheinen irgendwie wann anders zu gehen.

 

Ich schicke Santi eine Nachricht, wo ich stecke und dass es hier schön ist, und bekomme eine Antwort aus Arzúa. Huch?! Er und K. waren heute wohl besonders gut drauf! Sie werden morgen schon in Santiago ankommen! Ich freue mich für sie, aber bin auch ein bisschen traurig, weil sie ja nun für mich schon ziemlich weit vorne sind. Und irgendwie ... fehlt mir etwas ohne die beiden, das Gespräch, das Zusammensitzen, das Lachen. Ich sitze allein, esse allein. Ja, wir haben vorher schon gemeinsam an einem Tisch gesessen, aber zum Essen, haben sich Grüppchen gebildet, die mit sich eben auch allein sein möchten, was ja auch in Ordnung ist, wenn ich mich nicht gerade so verloren fühlen würde. Hm.

 

Ich ziehe mich in den Aufenthaltsraum zurück, den vorher ein ziemlich duster wirkender Herr mit dröhnenden Lautsprechern des Fernsehers für sich beansprucht hatte, und schreibe ein bisschen vor mich hin, bis der Herr zurückkommt, sich nicht die Bohne darum schert, dass ich hier die Ruhe genieße und die Glotze wieder an und auf ohrenbetäubenden Krawall schaltet. Ich glaube, als ich gehe, schnitzt er gerade eine Kerbe in sein Hölzlein. Nun ja, ich habe nie behauptet, dass es nur nette Menschen unter den Pilgern gibt.