06.07.2018

Ich habe mich ja schon total auf heute gefreut, aber nach heute freue ich mich noch viel mehr auf morgen!

 

Dabei habe ich nicht wirklich gut geschlafen. Dennis Flieger hatte drei Stunden Verspätung, so dass er erst mit den allerletzten Bus um 1.00 Uhr in die Stadt fahren konnte.

 

Bis er dann da und wir jeder in seiner Zelle im Pinario waren, ging es stark auf 2.00 Uhr zu, eine völlig ungewohnte Zeit für mich, die ich ja auf dem Camino meistens um 22.00 Uhr Lichtauszeit habe, für Denns eine völlig ungewohnte Zeit, weil er da ja gerade erst mit Vorglühen fertig ist.

 

Damit war meine Nacht allerdings noch nicht zu Ende, denn für mich inzwischen ebenfalls völlig ungewohnt war die Bettdecke. Irgendwann fiel mir ein, dass ich damit schon öfter Probleme hatte (daheim geht es mir auch so, dann wache ich auf, frage mich, wo ich bin und ob ich oben oder unten schlafe, taste mein Bett nach seinen Seitenkanten ab und erschrecke total, weil es zur linken Seite gar nichts für aufhört und da jemand liegt; und wenn ich mich dann so weit zurecht gefunden habe, kann ich nicht mehr einschlafen, weil es im Zimmer so leise ist (womit ich nicht sagen möchte, dass Thomas leise schnauft, aber er ist eben der Einzige)) und ich mir irgendwann einmal vorgenommen habe, die Decke einfach zu verbannen und auch hier im Pinario im Schlafsack zu nächtigen. Aber bis mir das einfiel, war die Nacht auch schon fast vorbei und das Kruscheln nach meinem mobile home im Licht des anbrechenden Tages vergebene Liebesmüh'.

Jedenfalls sitze ich mit total verquollenen Augen beim Frühstück und bin nicht wirklich voll Tatendrang. Aber dann setzen sich die beiden amerikanischen Mädels von unterwegs zu uns (sie haben mir einmal ein Blatt geschenkt, das aussieht wie ein Herz - ist das nicht lieb?) und ihre Frische und Fröhlichkeit färben einfach ab. Umso trauriger ist es mir, als wir uns nun endgültig von ihnen verabschieden müssen.

 

Noch schnell gepackt, einige entbehrliche Gramm bis nächste Woche an der Rezeption eingelagert und wir verlassen das Pinario, kommen jedoch zunächst nicht weiter als bis zum Kathedralplatz. Da gibt es erst einmal Gewetzte und Gerufe und Umarmungen und Gratulationen, denn gerade kommt das amerikanische Ehepaar, die ich zum ersten Mal vor der Herberge von La Mesa traf, an und das muss gefeiert werden! Ich halte auch noch einmal die Augen nach "meinen" beiden Mexikanern offen, aber irgendwie habe ich sie wohl endgültig verloren, was mich wirklich traurig macht, denn wir konnten uns gar nicht voneinander verabschieden. So einen letzten Drücker von ihnen hätte ich schon gerne mit nach Hause genommen. Hm.

 

Schließlich machen wir uns auf den Weg und wetzen mit unglaublichen 2,5 km/h durch Nordspanien! Meine Lieben, das ist schon anstrengend, denn um diese Geschwindigkeit zu erreichen, muss man sich wirklich von Bar zu Bar hangeln und dort geflissentlich darauf auchten, ausreichend lange sitzen zu bleiben, um den Stundenschnitt nicht zu verderben!

 

Schon beim ersten Stopp treffen wir zwei andere Pilger. Beim zweiten setzt sich ein Neupensionär zu uns, der seinen Weg im März an seiner Haustür begonnen hatte und sich unüberhörbar freut, dass er uns davon erzählen kann.

 

 

Weil diese Bar nun doch nett aber auch eine ziemliche Spelunke ist, in der wir nichts essen möchten, machen wir schon am nächsten Brunnen noch einmal Halt und knabbern ein paar Kekse, mit deren Energie wir dann zumindest bis zur Brücke Puente Maceira kommen. Wer hier nicht eine Pause macht und seine Füße ins kalte Wasser streckt, muss es wirklich eilig haben! Haben wir aber nicht und sitzen auch nicht lange alleine. Leider gibt es in der Bar noch nichts zu essen, aber eine große Schale Oliven. Ist das nett!

 

Insgesamt ist der Weg absolut Deppensicher (gut, den Neupensionär müssen wir bald nach der Bar einfangen und auf den rechten Weg zurückbringen, aber der war wohl gerade einfach nur zu sehr mit sich selbst beschäftigt) markiert. Es gibt sogar Muschelsteine mit Kilometerangaben. Die Wälder bestehen großenteils aus einem Gemisch von Eukalyptus und efeuumrankten heimischen Bäumen.

Leider sind auch lange Straßepassagen dabei und am Ende sogar ein gutes Stück auf einer nicht schönen Landstraße, bevor wir die verlassen und wieder auf einem schmalen Asphaltweg nach Negreira kommen und gleich an der ersten Herberge beschließen, dass wir für heute genug der Anstrengung hatten. Und das ist eine gute Idee, denn die Albergue ist wirklich süß und die Hospitaleros sehr nett.

 

Nicht so nett ist allerdings einer der beiden anderen deutschen Pilger hier. Der Herr der direkt neben mir schläft, kommt aus der Nähe von Frankfurt, doch als ich ihm freudestrahlend erzähle, dass ich aus Seligenstadt komme, meint er dazu nur: "Jaja, die Deutschen sind überall." -  Hups! Ähm. Äh. Hallo! Ich hab dir doch gar nichts getan! Ja, ich bin vielleicht heute ein bisschen überschwenglich und ziemlich gut drauf, aber das steht mir zu! Immerhin ist heute der erste Tag eines unglaublichen Geschenks, das mein Kind mir macht, da darf man ein bisschen rosarot angefärbt sein!

 

Als wir geduscht und frisch genug sind, unsere knurrenden Mägen nicht mehr ignorieren zu müssen und zu können, sitzt er mit einer jungen Dame, übrigens auch aus Deutschland, weil die Deutschen sind ja halt überall, am Tisch, wartet auf sein Pilgermenü und ist mit ihr in ein so tiefes Schweigen versunken, dass mir das Mädel richtig leid tut. Allerdings nicht leid genug, dass wir uns bemüßigt sehen, ihnen Gesellschaft zu leisten. Nein, Pilgermenü ist nett, hat für meinen Geschmack aber eindeutig zu wenig Meeresgetier und zu viel Kohlenhydrate. 

 

Mit der Paella in einer Bar um die Ecke verhält es sich genau umgekehrt: Zwischen all den Proteinen ist hier und da ein kleines Reiskörnchen eingeflickt, sozusagen als Blickfang. Das ist viel mehr nach unserem Geschmack, auch wenn wir schier verhungern, bis es endlich kommt. Aber der Wirt hatte uns vorgewarnt, dass es etwas länger dauern wird, ich kann also nicht schimpfen. So ein Verlust!, würde ich jetzt sagen, aber ich habe eh den Mund viel zu voll als dass ich auch nur "papp" sagen könnte und das ändert sich auch nicht, bis die ganze Pfanne aufgegessen ist. Sie ist einfach zu lecker! - Also nicht die Pfanne selbst, sondern ihr Inhalt.

Oh, am Ende hat der Frankfurter doch noch ein "freundliches" Lächeln für mich, mit dem er mich fragt, wann wir denn morgen gedenken aufzustehen (Hallo! Das weiß ich, wenn ich morgen wach bin!), und mir mitteilt, dass wir dann eben damit rechnen müssen, dass er uns weckt, weil er früh aufbrechen und nicht trödeln mchte. Ich glaube, ich möchte nicht wissen, wie ich ihn in diesem Moment angucke. Und ich glaube, er möchte nicht wissen, was ich in diesem Moment von ihm denke: Junge, Junge, dir würde ein Camino auch mal gut tun! (Und dabei muss ich schon auch ein bisschen grinsen, weil ich das eigentlich auf Englisch denke und es genau der Satz ist, den Santi immer zu K. gesagt hat, wenn sie gerade ein bisschen unmütig war. "You should do a Camino!")