08.07.2018: Santa Marina - Cee

Wir hatten eine sehr unruhige Nacht. Von den langen Straßenpassagen ist mir der linke Fuß so eingeschlafen, dass ich schon befürchtete, ich kriege nie wieder ein normales Gefühl hinein. Weil ich im Bett über Dennis lag, hatte er bei jeder meiner Bewegungen seine helle Freude. Und als ich dann doch endlich eingeschlafen war, fing der große Aufbruch an. Das könnte ich soweit ja wegstecken, aber dann machte jemand das Licht genau über meinem Bett an. Keine  Ahnung, wer das tat, aber unser Verdacht geht dahin, dass es der Wirt selbst war, weil wir ihm vielleicht zu lange geschlafen haben. Es muss neben Hispitaleros wie David in Bodenaya einfach auch solche Herbergebetreiber geben, damit man die Davids zu schätzen lernt. Auch beim Frühstück waren wir die Letzten und der Wirt konnte es schier nicht abwarten, dass wir endlich aufbrachen.

 

Nun denn, auf ein neues! So tingeln wir über die Straßen zur nächsten Bar. Direkt gegenüber entdeckte ich eine neue Herberge, von der ich noch nichts wusste. Kunststück, denn sie wird heute erst eröffnen. Eine gute Idee! So kann man die Etappen doch ein bisschen besser aufteilen. Und nett sieht sie aus. Ich darf mir alles genau angucken.

 

 

In Oliveira machen wir Mittagspause und essen ein Sandwich - endlich etwas Herzhaftes für Dennis. Er hatte sich zwar morgens Tostada mit Käse bestellt, aber eins mit Marmelade bekommen, was so gar nicht nach seinem Geschmack war. Irgendwie war in Santa Marina alles ein wennig chaotisch, was wir vor allem der schon etwas älteren Wirtin aber gerne nachsehen, weil sie einfach total nett war.

 

In O Logroso werden wir von der Wirtin sehr herzlich empfangen, wittert sie doch in uns zwei Übernachtungsgäste. Das sei die letzte Herberge vor Cee und wir sollten uns gut überlegen, ob wir weitergehen möchten.

 

Allerdings hatten wir längst beschlossen, zumindest bis Hospital zu laufen. Dort gibt es nämlich, was uns die Senora wohlwissentlich verschweigt, auch eine Unterkunft, die wir ansteuern.

 

Außer einer kurzen Unterbrechung verläuft der Camino ausschließlich auf Asphalt, den ich nicht wirklich angenehm in meinen Füßen merke. Blasenfreies pilgern kriege ich gut hin, auch Straßenabschnitte sind soweit kein Thema, aber seit Lugo gab es von ihnen so viele, dass ich langsam wirklich gerne auf sie verzichten würde.

Als wir in Hospital eintrudeln, ist es gerade mal 15.00 Uhr und die Unterkunft befindet sich in einer Bar, die mutterseelen allein mitten an der Landstraße steht, nix davor, nix dahinter. Ich hole mir erst einmal was zu trinken und warte auf Dennis, der noch ein bisschen in O Logroso geblieben ist. Ja, wir könnten gerne hier übernachten! - Aber wollen wir das?

 

Meine Lieben, ihr glaubt gar nicht, wie lange Stunden sein können, wenn man während ihnen nix mit sich anzufangen weiß. Auch Dennis, der eigentlich schon beschlossen hatte hier bleiben zu wollen, guckt sich nur kurz um, dann gucken wir uns an und wissen beide: Es gruselt uns schon ein bisschen davor, noch 13 km zu gehen, aber es gruselt uns auch davor, hier zu bleiben und uns Stunde um Stunde zu langweilen. 

 

Manchmal ist es eben auf dem Camino wie im echten Leben, man steht zwischen Zitrone und Pampelmuse und weiß, in eine muss man hineinbeißen, weil irgendjemand die Schokolade schon weggenascht hat.

 

Wir frischen unsere Trinkvorräte auf und stiefeln davon.

 

Gleich nach der Wegteilung nach Muxia und Finisterre (ich könnte heulen, wenn ich mir jetzt die Bilder angucke, weil die alle so hässlich sind und dabei war doch alles sooo schön!) kommen wir auch endlich von Asphalt herunter und der Weg wird richtig schön, führt erst durch Heuwiesen, dann durch Eukalyptus und Pinien. Ein bisschen anstrengend ist,  dass die Sonne, bis dahin ziemlich verhalten zwischen den Wolken hervorblinzelnd, nun doch beschließt, für uns zu scheinen, und der Weg trotz Bäumen links und rechts nahezu schattenlos verläuft.

Immer wieder denken wir, dass doch nun bald endlich das Meer zu sehen sein muss. Schon morgens haben wir im Dunst wohl eine Bucht flimmern sehen, aber da war so viel Land Drumherum, dass das nicht wirklich als Meer durchgeht. Wir rasten jeder dort, wo er gerne verschnaufen möchte. Wenn man nach einem schon nicht ganz kurzen Tag noch ein gutes Stück zu gehen hat, macht es keinen Sinn, nebeneinander herzudackeln. Da muss jeder gucken, wie es für ihn am besten ist.

 

Das gehörte übrigens zu unseren Grundverabredungen, die wir schon lange vor unserem Weg getroffen haben: Jeder geht, wie es für ihn am besten und richtigsten ist. Dennis ist sehr viel leichtfüßiger als ich, besonders bergauf, was jetzt aber nicht unbedingt heißt, dass er auch schnell ist, denn es ist kein Kunststück, dort schneller zu sein als ich. Und was mir auch wichtig war: Wenn er eine Gruppe findet, der er sich anschließen möchte, treffen wir uns spätestens in Finisterre wieder. Ich mag ihn da nicht ausbremsen und bin selbst durchaus in der Lage, alleine zu gehen. Es ist vor allem SEIN Camino und den soll er einfach genießen.

 

Allerdings ist das mit der Gruppe ein bisschen blauäugig gewesen und basierte wohl vor allem auf der Erinnerung an den Camino Francés und die vielen jungen Menschen, denen ich dort begegnete. Hier treffen beim Gehen nur ganz selten Pilger und das sind dann einzelne Personen oder Paare, was mich nun doch auch ein bisschen verwundert. Ich kam mir ja inzwischen schon vor wie mit grünen Punkten im Antlitz gespickt, weil ich eben noch nie in Finisterre war. Hm.

 

So ist es also, dass ich einmal auf einem Stein in der Sonne hocke und Dennis an mir vorbeizieht, dann liegt er im Schatten und ich watschele an ihm vorbei, dann holt er mich wieder ein und ...

 

 

Da ist es endlich! Dennis ist nur kurz vor mir, aber er hält gar nicht an!? Hat er es nicht gesehen? - Doch, hat er, und nachdem ich laut genug herumgebrüllt habe, bleibt er auch stehen: Das Meer! Ein bisschen dunstig, aber so, dass es wirklich als Meer durchgeht. So, jetzt müssen wir nur noch an den äußersten Zipfel des Landes traben, dann sind wir da.

 

Also morgen. Heute nicht. Heute müssen wir erst einmal nur Cee erreichen, aber ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie hervorragend Augen und Füße miteinander verknüpft sind. Und das ist auch gut so, denn die Füße stecken ja den ganzen Tag in den Wanderschuhen und währen ohne die Augen echt völlig orientierungslos und fristeten ein ziemlich dusteres Leben. Aber diese Verknüpfung macht, dass die Augen das Meer sehen und die Füße sofort leichter und schneller werden. Naja gut, ein bisschen liegt es auch daran, dass das Gelände die Eigenart hat, zum Meer hin immer abzufallen (außer in Holland, wo man quasi zur Nordsee hinaufsteigen muss, aber da sind wir ja nun gerade gar nicht).

 

Jedenfalls vermasseln wir uns auf dieser letzten Strecke total unseren wohl gepflegt sehr gering gehaltenen Kilometerschnitt total! Und schon sitzen wir - schwups - in einer Bar mit Herberge und ich bestelle freudenstrahlend meinen Café con leche. Gibt es nicht. Na gut, dann eben Cola zero! - Gibt es nicht. Und es gibt auch kein freundliches Wort dazu, also nicht, dass ich es verstanden hätte, aber ein freundlicher Tonfall wäre doch schon ein bisschen nett gewesen. Hm. Dann trinken wir eben, was es gibt und ich ignoriere den grummeligen Blick des Wirtes, als ich mich ein bisschen umgucke. Nein, ich erkläre es ihm nicht, warum ich das tu, und schon mal gar nicht mit einem netten Tonfall, weil keinen netten Tonfall haben kann ich auch. Er sieht mich wohl schon in einem seiner Betten nächtigen und wird ein bisschen ... Nein, jetzt "aufgeschlossener" zu schreiben wäre echt eine maßlose Übertreibung, die dann auch noch nur so lange anhält, bis wir unsere Getränke bezahlen und von dannen marschieren.

 

Nach der letzten unruhigen Nacht wünscht sich Dennis eh ein Einzelzimmer. Ein Pilger liest uns auf der Straße auf und schleppt uns in die Herberge, denn der Hospitalero kann uns bestimmt etwas empfehlen. Schon als ich durch die Türe trete, denke ich: 'Ist das schön! Hier würde ich gerne schlafen!' Und dieser Hospitalero guckt gar nicht angekrüddelt, weil wir nur nach einem Hotel oder einer Pension fragen, sondern zählt uns sehr freundlich auf, was ihm zu diesem Thema so alles einfällt.

 

Wir gehen auch tatsächlich noch zum nächsten Hotel und ja, man hätte dort auch zwei Einzelzimmer für uns (zum Preis von zwei Doppelzimmern und damit so ganz und gar nicht verlgeichbar mit einem Bett in der Herberge) und wenn wir uns jetzt sofort entscheiden, gibt es das Frühstück gratis. 'Bei dem Preis ist das ein echtes Argument!', denke ich, sage aber nichts, weil ich Dennis seine ruhige Nacht von Herzen gönne. Aber der guckt mich nur an und meint: "Die Herberge sah aber netter aus."

 

 

Ach, er ist eben doch mein Kind! Gut, dass wir nur bis zum nächsten Hotel gegangen sind, so war der Weg zur Albergue zurück nicht weit und - schwups! - sind wir durch die Türe und der Hospitalero (und ich meine das wirklich im schönsten und wörtlichsten Sinne) grinst uns breit entgegen. Jaja, diese paar Meter hätten wir uns gut sparen können. Und guckt, was er im Kühlschrank hat: alkoholfreies Bier! Jaja, die Dose ist gelb, auch wenn ich sie als grünn bezeichne, und später stehe ich ein wenig ratlos vor der Maschine, in die ich schon die Wäsche gepackt habe, und wundere mich, dass sie nicht wäscht, woraufhin er die Wäsche wieder herausnimmt und erst einmal in die Maschine daneben packt und meint: "Perhaps it's better to wash it first! Peinlich, peinlich! Irgendwie scheint der Weg heute doch die eine oder andere graue Zelle aus meinem Kopf verschluckt zu haben. Aber er lächelt nur nachsichtig: "Ihr seid heute weit gelaufen und du bist müde."

 

Stimmt. Allerdings bin ich nicht nur müde, sondern auch hungrig und so ziehen wir noch einmal von dannen und suchen uns eine nette kleine Bar, in der es etwas für in den Bauch gibt.

 

Eigentlich hatte ich mir Cee anders vorgestellt, so mit einem schönen Strand, wo wir sitzen und ein bisschen auf's Meer gucken können, aber irgenwie ist es hier ziemlich ... unnett. So dackeln wir auch bald wieder zurück zur Herberge, obwohl wir eigentlich länger ausbleiben könnten, weil wir einen Schlüssel haben. Aber was nutzt das, wenn die Herberge so ziemlich das Netteste des Ortes ist.

 

Der Hospitalero kommt gerade aus dem Schlafraum und schließt sehr vorsichtig und leise die Tür. Mir fällt ein Stein vom Herzen: Er wird ganz sicher nicht morgen früh die Lampe über meinem Kopf anschalten und unruhig von einem Fuß auf den anderen hüpfen, dass wir nur bald und endlich das Haus verlassen.

 

Ein wenig unwirsch bin ich in dieser Nacht nur kurz mit dem Herrn, der uns unterwegs abgefangen und hierhergebracht hat. Dass er schnarcht, darauf hatte er uns vorher freundlicherweise vorbereitet. Dennis hat die Augen gekullert, in den Sesseln und Sofas des Aufenthaltsraumes aber einen guten Notplan gefunden. Für mich ist das kein Thema: Schnarchen macht niemand freiwillig und schon mal gar nicht, um andere zu ärgern. Das kann ich gut ablegen. Und als wir in unsere Betten schleichen, schläft er bereits und atmet lange nicht so laut, wie er es angedroht hatte. Aber irgendwann wird er wach, geht sehr geräuschvoll zur Toilette, kommt zurück und gibt dann Töne von sich, die hätte er gut auch auf dem Klo erledigen können. Und das, meine Lieben, tut er wach, in vollem Besitz der Beherrschung über seinen Körper, also theoretisch zumindest, und DAS kann ich nicht ablegen. Irgendwann rutscht mir ein Unmutslaut heraus (ja, ich bin auch in vollem Besitz der Beherrschung meines Körpers und tu das absolut bewusst. Da nimmt umgekehrt er seinen Schlafsack und verschwindet nach draußen, was Dennis dann diesen Weg erspart.

 

Mein armes Kind ist heute eh ein bisschen geschunden. Bergauf ist er absolut gut drauf, bergab muss er noch ein bisschen üben, die Knie angewinkelt zu lassen und so Tritt und das Bremsen ein bisschen abzufedern. Es ist ihm ein bisschen in die Kniekehlen gefahren und dann war er auch noch mit so einer alten Schrabnelle unterwegs, die gemeint hat, sie muss ihn obendrein auch noch anfeuern, nur weil sie eben besser bergab als bergauf kann und vom Anblick des Meeres völlig außer sich geriet. Ach, es gibt eben Menschen, die sind echt mit ihrer Mutter gestraft für's Leben.

 

Dafür haben wir morgen nur noch 15 km zu gehen, das sind nur zwei Kilometer mehr, als wir heute noch drangehängt haben. Das sind doch schöne Aussichten!